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Phantastische Phantastereien

OPER GRAZ / HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN

03/10/23 Hoffmanns Erzählungen als phantastischer gemeinsamer Wurf von vier Regieteams in der Oper Graz: Mit einer in jeder Hinsicht phantastischen Produktion von Jacques Offenbachs Opéra-fantastique eröffnet die Oper Graz die neue Spielzeit, die erste des neuen Intendanten Ulrich Lenz.

Von Heidemarie Klabacher

Eine Automatenfrau. Eine Todkranke. Eine Kurtisane. Weil sich der Dichter Hoffmann an die Sängerin Stella (die ehemalige Geliebte singt „nebenan“ im Don Giovanni) nicht mehr heran-traut, flüchtet er in das Reich der Phantasie. Dorthin, wo ihn die fünfte Frau, die personifizierte Muse der Dichtkunst, ohnehin haben will: Hoffmann soll nicht lieben, sondern dichten...

„350 Jahre Operngeschichte decken wir ab und weiten die Ränder aus“, sagte Ulrich Lenz bei einem Pressegespräch. Neben Hoffmanns Erzählungen und Macbeth aus dem Kernrepertoire stehen etwa Schlaflos von Peter Eötvös, Die Nachtigall von Gorenska von Anton Foerster, Der Bürger als Edelmann von Molière/Lully aber auch Venus in Seide des Grazers Robert Stolz auf dem Spielplan. Er hat mit Dirk Elwert auch einen neuen Ballettdirektor und mit Vassilis Christopoulos einen neuen Chefdirigenten mitgebracht.

Die Eröffnungsproduktion leitete mit dem deutschen Dirigenten Johannes Braun der ebenfalls neue erste Kapellmeister der Oper Graz. Dieser scheint mit Hoffmanns Erzählungen den Grazer Philharmonikern einen neuen Samt-Überzug für den Sound mitgebracht zu haben. Kammermusikalisch transparent bis wagnerisch opulent.

Geschmeidig und punktgenau die Wirkung von Text und Gesang mit klangvollem Sound oder präzisen solistischen Glanzlichtern unterstreichend. Die bizzarren oder diabolischen, die lächerlichen oder verletzlichen Charaktere mit-gestaltend verstärkend: Das war exemplarisch.

Die Rahmenhandlung, erster und fünfter Akt, inszenierte Tobias Ribitzki. Roter Samt ist das signature piece für ein Theater auf dem Theater, in dem Hoffmann zugleich als Schöpfer am Rande und als Hauptfigur seiner drei Geschichten im Zentrum steht. Die Figur der Muse verwandelt sich, um in der Menschenwelt sichtbar auftreten zu können, in Hoffmanns treuen Begleiter Nicklausse. Da scheint mehr Gefühl im Spiel zu sein als nur die Liebe der Muse zum künftigen Werk.

Matthias Koziorowski als Hoffmann betört mit strahlendem geschmeidigem Klang und technischer Souveränität. Ob angriffig, zornig etwa im berühmten Lied vom Klein Zack oder seine Damen sehnsuchstvoll anschmachtend – ein Hoffmann aus dem Bilderbuch. Anna Brull stielt als La Muse/Nicklausse im schlichten schwarz-weißen Gewand (Kostüme von Silke Fischer) den spektakulären drei Damen stimmlich beinah die Show. Ihre Arien sind Höhepunkte.

Die britische Theatergruppe „1927“ (die mit der Graphic Novel Mehr als alles auf der Welt noch bis 5. Oktober im Akademietheater in Wien gastiert) hat sich mit aberwitziger Opulenz und manischer Manier zwischen Filmanimation und live acting der mechanischen Sängerin Olympia angenommen. So durch die Mangel gedreht hat noch keine Olympia den verblendeten Hoffmann, als dieses zierliche und zugleich das Bühnenportal füllende Automatenwesen, das Tetiana Zhuravel mit beängstigender Energie und stimmlicher Brillanz zum Leben erweckt.

Der aus Australien stammende Puppenspieler Neville Tranter hat den „Nebenfiguren“ im Antonia-Akt, Crespel, Le Docteur Miracle und Frantz, lebensgroße Klappmaulpuppen zur Seite gestellt.

Diese werden vom jeweiligen Sänger gemeinsam mit einem Puppenspieler geführt. Puppen sind ja immer unheimlich, verstärken das, was sie ausdrücken sollen, mehr als jeder Mensch es könnte. Die Dämonie des Dr. Mirakel – ein rechtes Spektakel in petrolfarbenem Samt – lässt dieses erkalten: Petr Sokolov, vom ersten bis zum vierten Akt als dämonischer Gegenspieler Hoffmanns präsent, brilliert tiefschwarz als Lindorf/Coppélius/Dapertutto und Dr. Miracle. Bewegend ist Tetiana Miyus als Antonia.

„Venedig als solches“, glitzerndes Wasser mit den Gezeiten an- und abschwellend im Mondenschein, hat die niederländische Choreographin Nanine Linning für den Giulietta-Akt auf die Bühne gebracht: Abstrakt und sinnlich zugleich.

Das Kleid der Kurtisane (Kostüme; Irina Shaposhnikova) und das Spiegelkabinett zum den Raub von Hoffmanns Spiegelbild, glitzern und gleißen. Als Grand Dame der Verführung betört Mareike Jankowski. Chor und Extra-Chor der Oper Granz sind blendend disponiert. Die markigen Trinkgesänge der Männer im ersten Akt sind ebenso überzeugend, wie der geschwätzige Smaltalk im zweiten oder die wiegende Barkarole im vierten Akt. In Venedig hat der Chor in opulenten nachtblauen Roben neben dem Singen eine zentrale darstellerische Aufgabe als ständige Wellen-Bewegung der Gezeiten.

Am Ende ist Hoffmann dort, wo er am Anfang war, einsam am Schreibtisch. Unvergänglicheres als Liebe sinnend... Bunt und grell. Traurig und schräg. Turbulent und bewegend. Bravi!

Hoffmanns Erzählungen – Aufführungen in der Oper Graz bis 18. Oktober – oper-graz.buehnen-graz.com
Bilder: Oper Graz /Werner Kmetitsch

 

 

 

 

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