Von der Trompete zur Hybrid-Geige
JAZZFESTIVAL SAALFELDEN / SONNTAG
30/08/10 Der letzte Tag beim Jazzfestival Saalfelden: Zu einer sonntäglichen Stunde, in der idealerweise Kaffe und Kuchen serviert werden, betritt ein junges studentisches Kollektiv aus Seattle samt seinem Lehrmeister die Bühne.
Von Per Peterson
Professor Cuong Vu ist tatsächlich der Uni-Professor der Band „Speak“, legt aber großen Wert darauf, dass nicht er sich die Musiker ausgesucht habe, sondern sie ihn. So schnell kann's gehen mit der Auferstehung aus dem Hörsaal.
Können Blasinstrumente schneiden? Sicher. Genauso gut wie ein Bass eine Richterskala zum Vibrieren bringen kann. Trompeter Coung Vu, Andrew Swanson (sax), Aaron Otheim (piano), Luke Bergman (e-bass), und Chris Icasiano (drums) legten gleich zu Beginn eine verzerrte Klangtextur aufs Parkett, der sich die Ohren gewaschen hat und das Stück Schwarzwälder-Kirsch vor Staunen im Hals stecken ließ. Hier stimmte alles: Die spannende rhythmische Komplexität, der bandeigene Sound, die Spielfreude, der Ideenreichtum, das Wechselspiel zwischen Gut und Böse.
Etwas weniger ideenreich, aber dafür umso brachialer bedonnerte die englische Band „Led Bib“ das Publikum, welches die Verwandlung von Jazz zu Metal und Punk durchaus zu schätzen wusste. Laut um der Lautstärke willen? Keineswegs: „Led Bib“ mögens zwar deftig, aber mit Stil, verspielt und an britischen Wurzeln hängend. Malcolm McLaren hätte gewiss seine Freude dran gehabt. Oh, was war das? Wollte man mit dem lyrischen Teil seine musikalische Bandbreite beweisen? Keine Rede davon: Man hatte nur schnell mit dem Rücken zum Publikum Kreide gefressen und konsequenterweise in Richtung Publikum wieder ausgespieen. Und wer wissen möchte, wie eine ordentlich schmatzende Bassdrum zu klingen hat: Bittesehr!
Wesentlich mehr Ruhe ließ der kammermusikalische Teil des Abends zu. Mark Feldman ist ein Mann des Publikums. Mit fast schon obligater schwarzer Anzughose und gleichfarbigem schlabbrigem T-Shirt betrat der wohl gefragteste Hybrid-Geiger der Gegenwart die Bühne, um mit lässiger Handbewegung die Presse- Fotographen vom Bühnenrand zu verscheuchen, ganz als wolle er sagen: „Die Leute haben bezahlt. Ihr nicht“. „To Fly to Steal“, das Quartett Mark Feldmans und der Pianistin und Gemahlin Sylvie Courvoisier spielte, wie Feldman es formulierte, „mit der Freiheit des Einzelnen, um die persönliche musikalische Entwicklung voran zu treiben“. Und schon findet man sich in den nächsten sechzig Minuten im schönsten Kopfkino, Fritz-Lang-Noir. Die vier Stücke in kammermusikalischer Avant-Classic, je zwei aus der Feder Feldmans und Courvoisiers ließen tatsächlich ein großes Maß an individueller Entfaltung zu, nichts selten solierten Thomas Morgan (b) und Gerry Hemingway im Alleingang.
Musiziert wurde natürlich ohne Tonabnehmer. Feldman: „Auf diese Weise sind wir gezwungen, intensiv auf uns zu hören, klanglich zu reagieren, auf den akustischen Klang der Instrumente ein zu gehen.“