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Innenschau und Explosion

JAZZFESTIVAL SAALFELDEN / FREITAG

29/08/10 Jazz - so heißt ein Auto. Aus dem Hause Honda stammt es und buhlt mit Prestigegewinn. Musiksoziologische Studien beweisen: Jazz steht heute für Individualismus mit Niveau. Um diesen Werbewert weiß man auch in Saalfelden.

Von Christoph Irrgeher

„Jazz“ liest der Musikfreund hier erst einmal auf jenem dunklen Blickfang, der vor dem Kongresshaus prangt: Zwar eigentlich ein Suzuki Swift, aber aus der Jazzfestival-Stadt Saalfelden, und mit gehörigem Preisnachlass.

Im Haus selbst? Zum Auftakt des Hauptbühnen-Programms am Freitag widmet sich Franz Hautzinger der nicht unbeträchtlichen Frage, wie das Wesen des Jazz eigentlich klingt. Das ist deutlich schwieriger, als die vier Buchstaben auf einen Boliden zu picken. „Third Eye“ heißt das Festival-Auftragswerk des 47-Jährigen, und es gleicht einer Pilgerfahrt durch die Stil-Gefilde des Genres. Beginnt das bläserlastige Quintett mit einem Thema, hinter dessen Dissonanzschleier die alten New-Orleans-Tage aufleuchten, so röhren später Bebop-Erinnerungen. Vor allem aber spannen sich weite Free-Jazz-Strecken, verknüpfen die Gedächtnis-Stationen: So entsteht hier eine tönende Zeitreise - oft auratisch leise, mitunter aber auch etwas energiearm. Wobei das Charisma von Hautzingers Hauch- und Spotz-Effekten in den dürftigeren Momenten schwindet: Statt kommentierendes Ausdrucksmittel zu sein, erstarren sie dann selbst zum Zitat, zum Abbild einer Klangsprache, die nun schon lange Jahre an der Schnittstelle von Jazz und Neuer Musik gepflogen wird.

altDennoch: Wer sich Jazzer und überdies progressiv nennen will, dessen Heil liegt in der Mischkulanz, daran lässt das Vorwort zum 31. Saalfeldner Spektakel keinen Zweifel. Und was Hautzinger jedenfalls in Teilen bestätigt, dafür ist Myra Melford, das zarte Persönchen mit dem wuchtigen Anschlag, ein Prachtbeispiel. Ihr Be Bread Sextet brilliert mit babylonischer Sprachvielfalt ohne biblische Wirren. In den Schöpfungen der US-Pianistin, die solistisch vor allem mit saftigem Blues und Freitönerei besticht, schmiegen sich die Jazz-Sprachen traut aneinander. Auch der relaxte Groove hat da sein Heimatrecht, der mit einer angeschrägten Melodie daherbummelt, sich irgendwann in zeitgenössischem Instrumentalgezwitscher auflöst, seine Mechanik zuletzt wieder aufnimmt. Und die kann hochkomplex sein: Da beruht der zarte Sog einer östlichen Melodie - sollte sich der Hörer nicht verzählt haben - auf einem 19-teiligen Taktgebilde.

Viel billiger gibt’s auch der Geiger Dominique Pifarély nicht. Das Ex-Mitglied von Bigbands der ambitionierteren Sorte legt mit seinem Ensemble Dédales eine Kammermusik vor, die ungefähr zu zwei Dritteln aus der Moderne eines Béla Bartók schöpft, zu einem Drittel aus spontaner Gestaltung. Eigentlich gar nicht blöd: Hatten Komponisten wie Dmitri Schostakowitsch ihre expressiven Holzbläser-Soli mühselig ausnotierten, lässt Pifarély dergleichen ohne Qualitätsverlust improvisieren. Eine vertrackte Motorik liefert die Basis dafür, vertritt aus Jazz-Sicht also den tragenden Groove. Darum erinnern die atonalen Stücke des Nonetts nicht selten an Passacaglien, mögen sie auch mit feinen Klangereignissen in Anton-Webern-Manier beginnen oder mit einer virtuosen Klangspende vom Chef. Auch nicht blöd, den Abend mit The Thing XXL zu beschließen. Ebenfalls atonal, dafür aber in Partylaune waltet das Septett seines bombastischen Amtes: Rock-Gitarre, Tschinbumm-Schlagzeug und Elektronik sind die Zutaten dieser Mitternacht-Kraftmeierei, bei der auch gelacht werden darf.

DrehPunktKultur-Gastautor Christoph Irrgeher ist Redakteur der Wiener Zeitung.
Bilder: Tourismusverband Saalfelden
Zum Bericht über die Samstag-Konzerte {ln:Starke Kurzstrecken und leere Kilometer}
Zum Bericht über die Sonntag-Konzerte {ln:Von der Trompete zur Hybrid-Geige}

 

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