Klangfuror und Musik
ASPEKTE / ERÖFFNUNGSABEND
17/03/22 Die beiden Konzerte am Eröffnungsabend am Mittwoch (16.3.) im Solitär boten höchste Qualität der Darbietung und jene „Musik unserer Zeit“, für die das Festival steht. Also die aktuelle Fortschreibung der Avantgarde mit ein paar eingestreuten „Klassikern der Moderne“ zur Erholung der Ohren.
Von Gottfried Franz Kasparek
Es ist schön, dass das Festival Aspekte wieder live vor Publikum stattfinden kann. Neue Musik gehört gespielt und diskutiert. Zwei gut einstündige Konzerte vor und nach der Eröffnung der sehr lobenswerten IGNM-Ausstellung im Foyer der Universität Mozarteum. Insgesamt dreieinhalb Stunden ohne Labung sind grenzwertig, aber im Schulbetrieb scheut man mitten in der Omikron-Welle vor Buffets noch zurück. Für die folgenden Abende sei also Selbstversorgung empfohlen.
Composer in Residence ist diesmal die Britin Rebecca Saunders, deren Stücke sich vor allem durch lärmende Atemlosigkeit auszeichnen. Das Streichquartett Unbreathed ist von Textfragmenten von Samuel Beckett und Haruki Murakami inspiriert. Das grandiose Quatuor Diotima, welchem das Stück gewidmet ist, schleudert die geschickt aneinandergefügten Mikrointervall-Tonfetzen mit Verve in den Raum. Das zischt und brodelt, raunzt und jault. In der Tat ein Klangorkan. Ob man diese extremen, oft verstörend hässlichen Klangereignisse für Musik hält, ist Geschmackssache.
Dagegen versieht Misato Mochizuki ihr Streichquartett Brain, welches vier Erkenntnisse der Hirnforschung auf jeweils eine Stimme überträgt, immerhin mit einem fast durchgehenden rhythmischen Grundpuls, über den sich die Stimmung eines Bienenstocks verbreitet. Letztlich siegt das „Ich-Bewusstsein“. Aha.
Das Quatuor Diotima begeistert davor und dazwischen mit Béla Bártoks pausenlos dichtem Drittem Streichquartett, dessen Verbindung von Folklore-Motiven, Emotion und radikaler Kontrapunktik vom ersten bis zum letzten Takt in den Bann zieht. Und Anton Weberns Fünf Sätze für Streichquartett sind ein singuläres Meisterwerk komprimierten Gefühls. Wie die Diotima-Herren diese im Prinzip romantischen Miniaturen nicht nur exakt, sondern auch mit Charme und Leidenschaft spielen, ist bewundernswert.
Im zweiten Konzert tritt das prächtig musizierende Österreichische Ensemble für Neue Musik unter der Leitung des virilen Schweizers Lars Mlekusch an. Nun steht der „Klassiker“ am Ende. Gérard Griseys Périodes aus der Bibel der Spektralmusik, den Espaces Acoustiques, ist ein Dokument der Klangerforschung um 1970 und wirkt heute seltsam angestaubt. Davor gab es drei zeitgenössische Stücke: Fury, eine in der Tat wilde Klangorgie für Solo-Bass (phänomenal: Michael Seifried) und fünf Instrumente von Rebecca Saunders, die mit energiegeladenen Tönen auch eine „Wutexplosion“ wie einen Horrorfilm bebildern kann, mit murrendem und furzendem Getöse. Sara Glojnarič, in Stuttgart lebende Kroatin, verwendet in sugarcoating (v3.0) Material aus einer frei verfügbaren Sammlung von Audio-Features und Metadaten für eine Million von Popmusik-Tracks für eine angeblich „soziopolitisch“ hinterfragte, gut organisierte, beinhart hämmernde und sehr laute Studie.
Und da war am Anfang eine Uraufführung, die nachklingt. Alexandra Karastoyanova-Hermentin, Wahlwienerin, einst Schaeffer-Schülerin am Mozarteum, zählt zu den komponierenden Stimmen unserer Zeit, die wirklich Essentielles zu sagen haben. Remix nennt sie das Ensemblestück, welches sie aus fünf eigenen Orchesterstücken und ihrem Klaviersolo Lacrimosa neu gewonnen hat. Dies ist auch Musik am Puls der Zeit, mit avantgardistischer Würze, in fünf meisterhaft gearbeiteten Sätzen, voll mit einprägsamen, originellen Motiven, ja Melodien. Und dies ist Musik, die lachen, wüten und weinen kann und die direkt berührt.