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Über die kirchlichen Großbaustellen

HINTERGRUND / SALZBURGER HOCHSCHULWOCHEN / FRAUEN

09/08/12 Gesellschaftliche und kirchliche Moralvorstellungen seien weit auseinandergedriftet, konstatiert der spanisch-amerikanische Religionssoziologe Jose Casanova. Brennpunkte sind Geschlechtergerechtigkeit und Sexualmoral. Jose Casanova ist heuer Träger des Theologischen Preises der "Salzburger Hochschulwochen".

Er hat in den 1970er Jahren in Innsbruck Theologie studiert. Seine bahnbrechenden Studien zum Verhältnis von Religion und säkularen Gesellschaften zählen sowohl zur soziologischen wie zur theologischen Standardliteratur. Insbesondere das Buch „Public Religions in the Modern World“ (1994) motivierte zahlreiche Theologinnen und Theologen zu einer kreativen, reflektierten Auseinandersetzung mit den Bedingungen der säkularen Moderne.

Diese Moderne, so Jose Casanova am Mittwoch (8.8.) in seiner Rede in Salzburg, sei geprägt von dem immer größer werdenden Graben zwischen kirchlicher und gesellschaftlicher Moral. Insbesondere der mangelnde Zugang von Frauen zu kirchlichen Positionen mit Macht und Autorität, die inadäquate Antwort des kirchlichen Lehramts auf die sexuelle Revolution sowie der Skandal des sexuellen Missbrauchs von Kindern durch Kleriker zeigen laut Casanova das „Scheitern der kirchlichen, von Männern dominierten Hierarchie an der Moderne“. Aus soziologischer Sicht stellen sich für den Wissenschafter insbesondere Geschlechtergerechtigkeit und Sexualmoral als „kirchliche Baustellen für die Zukunft“ dar.

Die "weibliche Säkularisierung" sei "der signifikanteste Faktor in der seit den 1960er Jahren drastisch voranschreitenden Säkularisierung westeuropäischer Gesellschaften". Verließen die vorwiegend männliche Intelligenzija die Kirche im 18. Jahrhundert und das männliche Proletariat im 19. und 20. Jahrhundert, so habe seit den 1960er Jahren der Auszug der Frauen aus der Kirche begonnen.

Das Problem der Geschlechtergerechtigkeit und der kirchlichen Sexualmoral stelle sich, so Casanova, nicht als theologisches Problem dar, sondern vor allem als „fundamentales Problem patriarchaler Geschlechterdiskriminierung innerhalb der männlichen klerikalen Kirche“. Das Argument, dass Jesus nur Männer berufen habe, lässt Casanova nicht gelten. Vielmehr sei „durch die Kirchengeschichte hindurch der männliche Charakter des Priestertums eine selbstverständliche kulturelle Prämisse“ gewesen. Eine theologische Rechtfertigung sei erst durch die „demokratische Revolution der Moderne“ und der In-Frage-Stellung jeglicher Geschlechterdiskriminierung aufgekommen.

Nicht unpolemisch sagt Jose Casanova: "Der Feminismus scheint den Kommunismus als Schreckgespenst aller religiösen Traditionen ersetzt zu haben." Im Gegensatz zur Geisteshaltung beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) beharre die Kirche heute weiterhin bei Themen wie Familienstrukturen, Geschlechterrollen, Macht und Autorität auf einer „traditionalistischen, naturalistischen und unreflektierten fundamentalistischen Position“.

Dabei sieht Casanova in diesem „Aggiornamento“ des Konzils eine „verborgene kritische Kraft“: Denn mit der Beachtung der Zeichen der Zeit sei keinesfalls eine „unkritische Anpassung an die moderne säkulare liberale Kultur“ gemeint, sondern vielmehr der Versuch bezeichnet, eine „kritische, wahrhaft prophetische Beziehung zur säkularen Kultur“ zu suchen. „Nur eine Kirche, die den Wert des Kerns der modernen Moralentwicklung erkennt und als schicksalhaftes ‚Zeichen der Zeit’ annimmt, kann eine kritische prophetische Rolle gegenüber unmoralischen und anomischen säkularen Trends spielen“, argumentiert er.

Casanovas Rezept, die Lage zu ändern, dürfte man im Vatikan nicht so gerne hören: Ziviler kirchlicher Ungehorsam gilt dort ja als Reizwort, wäre aber nach Ansicht des Soziologen eine „angemessene Form, theologische Verantwortung in einer Situation eines Auseinanderdriftens von gesellschaftlicher und kirchlicher Moral zu übernehmen.“

Auch auf den sexuellen Missbrauch ging Jose Casanova ein. Die lange Reaktionszeit der Kirche auf diesen Skandal, dessen erste Anzeichen viel früher als vor zwei Jahren datierten, zeige, dass die Kirche sich allzu lange der autonom gewordenen gesellschaftlichen Moral und deren Tabuisierung sexueller Gewalt seit den späten 1960er und 1970er Jahren verschlossen hatte: „Die säkulare Gesellschaft und die öffentliche Meinung waren der Kirche in diesem moralischen Streitpunkt weit voraus, während die Kirche hinterher hinkte.“

Die jüngste vatikanische Kehrtwende unter Benedikt XVI., dessen „Null-Toleranz-Politik“ und die „Zeichen von Reue und öffentliche Bitten um Vergebung für klerikale Vergehen“ seien indes „begründete Zeichen zu hoffen, dass der Höhepunkt des Skandals überschritten ist“, so Casanova. Nun müsse die Kirche nachhaltig Lehren aus der Krise ziehen. Dazu gehöre auch die Einsicht in die autonome säkulare Moralentwicklung: denn letztlich sei es die vor allem vom Feminismus vorangetriebene „säkulare Revolution der Moral“ gewesen, die den sexuellen Missbrauch zum Skandalon werden ließ.

Casanova setzt besonders auf das aktive Engagement von Laien: „Wir Laien haben eine besondere Verpflichtung, unsere Verantwortung als ‚Volk Gottes’ zu übernehmen und gegenüber dem wachsenden Klerikalismus im Glauben verankert und loyal, aber doch mit Nachdruck unseren Widerspruch zum Ausdruck zu bringen.“ Das Publikum feierte Casanova mit tosendem Applaus. (KAP/HSW/dpk)

Bild: Salzburger Hochschulwochen

 

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