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Der „drollige“ Menschenversteher

KUNSTHISTORISCHES MUSEUM / PIETER BRUEGEL

04/12/18 Warum hat Pieter Bruegel von seinen niederländischen Zeitgenossen den Spitznamen „de Drol“ - Der Drollige - verpasst bekommen? Weil er einen unbestechlichen Blick hatte für die Menschen und ihre oft schrullig wirkenden Alltagsverrichtungen. Schon die allerfrühesten Zeichnungen prägt dieser Blick auf das Ur-Menschliche - vom Essen bis zu dessen Gegenteil.

Von Heidemarie Klabacher
und Reinhard Kriechbaum

Landschaft nach Campagnola heißt ein Blatt von 1554. Da hockt vorne ein Bauernpaar. Die beiden rasten offensichtlich gerade von der Feldarbeit. Der Mann langt gerade in den Essenskorb seiner Frau. An solchen Szenerien hat Pieter Bruegel der Ältere offenbar von Beginn an seine Freude gehabt. So imposant die Landschaften ausfallen, wird alles vermeintlich Pompöse, Hehre wird listig gebrochen. Sogleich verfängt sich der Blick des Betrachters innerhalb der Vedute im geerdeten Tun der Menschen. Die Ripa grande in Rom, die große Böschung am Tiber, an der die Warenschiffe anlegten: Das Motiv hätte das Zeug zur ansehnlichen Vedute, aber Bruegel lässt Familien im Ruderboot über den Fluss setzen, ganz vorne steht einer knöcheltief im Wasser und auch sein Maultier hat den Kopf gesenkt, um zu trinken.

Das sind also mehr als die obligaten „Staffagefiguren“. Wenn die Zeitgenossen Pieter Bruegel als einen „Drol“ sahen, so mag er das als Kompliment empfunden haben. Die Wertschätzung galt einem fabelhaften Menschenbeobachter, der schon in seinen frühesten Zeichnungen die Aufmerksamkeit hinlenkte aufs nur scheinbar Nebensächliche. Was die Menschen im Detail tun, war ihm mindestens so wichtig, wie das jeweilige „große“ Thema.

Achtzehn Jahre sind keine lange Zeitspanne für ein Lebenswerk, das denn auch so groß nicht ist: vierzig Gemälde, sechzig Grafiken. Mit zwölf Tafelbildern besitzt das Kunsthistorische Museum die weltweit größte Sammlung an Bruegel-Gemälden. In der famosen Ausstellung jetzt kamen weitere achtzehn Gemälde dazu – in Summe also drei Viertel vom malerischen Lebenswerk. Da darf man getrost von einer Jahrhundertchance sprechen, diese Werke so nebeneinander zu sehen zu können, wie etwa die beiden so grundverschiedenen Gemälde vom Turmbau zu Babel. Bruegel-Tableaus schicken die Museumsdirektoren nur ungern auf Reisen, was nicht nur versicherungstechnische, sondern auch gute konservatorische Gründe hat.

Doch zurück zum Kleinen im Großen: Wenn es galt, den Kindsmord zu Bethlehem großformatig ins Bild zu setzen, dann zeigt Bruegel nicht groß das entsetzliche Abschlachten. Er splittet die Szene auf, und man kann in den kleinen Menschengruppen sehen, wie die Eltern mit dem Mut der Verzweiflung mit den Soldaten zu handeln, sie abzulenken versuchen. Das sind große Tragödien in kleine und kleinsten Dramaturgien, wie sie uns in den bekannten Tafelbildern immer wieder begegnen. Selbst in der Kreuztagung Christi muss man erst Ausschau halten nach dem Hauptmotiv. Hier will Bruegel wohl anschaulich machen, dass selbst große Ereignisse den Alltag der unmittelbaren Zeitzeugen wenig tangieren.

„De Drol“ also, der uns manches Interpretationsrätsel stellt: Will Breuegel uns mit den Imkern etwas erzählen, oder hat ihn vor allem der skurrile Gesichtsschutz der Männer greizt? Ein Menschenbild jedenfalls ohne Gesichter. Und wofür kämpft die Dulle Griet in einer Hieronymus Bosch abgeschauten Dämonen-Umwelt? Diese Heroine aus der Küche ist absurd gewandet und gerüstet mit Brustpanzer, wehendem Kittel und Dienstbotenschuhen, bewaffnet mit Schwert, Bratpfanne und zwei Körben voller Küchenutensilien. Bizarre Riesin? Vorkämpferin in einer Frauenrevolte? Das sind Bilder, mit denen man nicht nur wegen der enormen Zahl der Figuren als Betrachter lange nicht „fertig“ wird - weder mit dem Anschauen noch - und schon gar nicht - mit dem Ausdeuten. Unser Favorit: der traurige Kopffüßer-Smiley mit dem Fisch an der Angel ganz am unteren Bildrand.

Bruegel war bei seinem Tod erst vierzig. Das genaue Geburtsdatum wissen wir nicht, zwischen 1525 und 1530 wohl. Vogeldieb, Die Imker, die eigenwillige Elster auf dem Galgen entstanden wenige Monate vor seinem Tod. Die bei uns populäre Bezeichnung „Bauernbruegel“ rührt natürlich davon her, dass jeder die großformatigen Arbeiten „Bauernhochzeit“ und „Bauerntanz“, ebenfalls zwei späte Werke, kennt. Sie rechnen zu den zentralen Werken im Kunsthistorischen Museum, wie auch Die Jäger im Schnee oder manch anderes wohlbekannte Jahreszeiten-Genrestück. Der Wiener Turmbau zu Babel ist neben jenem aus Rotterdam zu sehen – auch das eine einmalige Option. Der Triumph des Todes und Die Dulle Griet wurden für die Ausstellung zum Jubiläumsjahr restauriert: 2019 jährt sich der Todestag Bruegels zum 450. Mal.

Pieter Bruegel der Ältere war schon zu seinen Lebzeiten einer der begehrtesten Künstler, weshalb seine Werke bereits damals ungewöhnlich hohe Preise erzielten und die Habsburger Sammler schon im 16. Jahrhundert auf den Plan rief. Aufschlussreich ist die Gegenüberstellung von Zeichnungen und den danach angefertigten Kupferstichen – kein Vergleich! Selbst die hervorragenderen Kupferstiche wirken plump und plakativ gegenüber den feinen und feinsten Federzeichnungen.

Bildrestaurierungen und Röntgen-Analysen brachten aufschlussreiche Erkenntnisse zur Malweise. Das wird in der Wiener Schau an einem weniger prominenten Motiv, den Zwei angeketten Affen, erläutert. Diese hocken in einer Kanonenluke einer Hafenfestung. „De Drol“ hat wieder einmal genau hingeschaut und vielleicht eine Parallele zu den Menschen dort entdeckt. Und ja, in der Zeichnung Maler und Kenner könnte man sich als „Kunstkritiker“ auch nur allzu leicht wiedererkennen...

Bis 13. Jänner 2019 im Kunsthistorischen Museum Wien. Man muss vorab ein Zeitfenster für den Ausstellungsbesuch reservieren – www.khm.at; www.bruegel2018.at
Bilder: KHM / Devonshire Collection, Chatsworth (1);  Museum Mayer van den Bergh (2); Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin ‒ Preußischer Kulturbesitz, Foto: Jörg P. Anders (1); Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie / Christoph Schmidt (1); Albertina (1)

 

 

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