Sisyphus hat einen Namen
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28/01/16 Für einen Canasta reicht es nicht – es ist nämlich nur eine einzige Spielkarte. Die Herz-Fünf mit den beiden Schwertkämpfern vorne und dem türkischen Bogenschützen hinten hat sich aber als Trumpf erwiesen, als es darum ging, den wahren Besitzer des reizvollen Stücks auszumachen. Es ist die Erzabtei St. Peter.
Von Reinhard Kriechbaum
Diese Spielkarte und 55 Graphik-Blätter kamen in der NS-Zeit in die Studienbibliothek, die Vorläuferin der heutigen Universitätsbibliothek. Dort läuft seit 2009 ein Forschungsprojekt, mit dem die Universität Salzburg als Vorreiter in Österreich gilt: Es galt zuerst zu untersuchen, ob in der NS-Zeit und später Raubgut in die Universitätsbibliothek gekommen ist. Jetzt ist die Herausforderung, die rechtmäßigen Besitzer der problematischen Bestände aufzustöbern.
„Wir haben bewusst kein Enddatum festgesetzt“, erklärt die Direktorin der Universitätsbibliothek, Ursula Schachl-Raber. Keine Deadline also. Alle Bücher, die ab 1938 ins Haus kamen, wurden von der Restitutionsforscherin Irmgard Lahner und ihrem eigens dafür zusammengestellten Team drei Jahre lang examiniert. „240.000 Bücher wurden von uns in die Hand genommen“, so Lahner. Das ist etwa ein Zehntel des Gesamtbestands. Der Band „Buchraub in Salzburg“ (2012) spiegelte erste Ergebnisse.
Allein zwischen 1938 und 1945 waren 6.700 Bücher ins Haus gekommen. Natürlich nicht nur Raubgut, in der Hauptsache Schenkungen, Pflichtexemplare und regulär angekaufte Schriften. Mit dem Erwerb von NS-Propagandaschriften habe man sich erstaunlich zurückgehalten, weiß Irmgard Lahner. Allerlei problematische, einst ihren jüdischen Besitzern enteignete Bücher seien aber noch in den sechziger Jahren hinzugekommen, auf dem Weg von Schenkungen. Daher schien es sinnvoll, keine Zeitschranke einzuziehen und wirklich den gesamten Bestande von der NS-Zeit bis heute zu sichten.
Von den 240.000 Stück um Stück ausgehobenen Büchern blieben schließlich 80.000 zur näheren Prüfung. Die Provenienz von 40.000 Stück ist bereits geklärt, 2.350 Namen von Vorbesitzern sind nun bekannt. Rund tausend Bücher sind nach derzeitigem Wissensstand unrechtmäßig in die Regale gekommen.
Nun geht es also ans Ausforschen der konkreten Erben: eine nicht unbeträchtliche Herausforderung auch im Google-Zeitalter und in einer Ära, da rundum einschlägig geforscht und öffentlich, meist im Internet, aufgelistet wird. Sisyphus hat in der Salzburger UB einen Namen: eben jenen der Restitutionsforscherin Irmgard Lahner.
Ein Buch aus einstigem Familienbesitz hat man dem Schauspieler Miguel Herz-Kestranek übergeben. Auch einen 102 Jahre alten Engländer hat man aufgespürt. Das dänische Langenscheid-Wörterbuch, das eigentlich ihm gehörte, hat er dann der Salzburger Universitätsbibliothek wieder überlassen.
„Als wir mit dem Projekt begannen, war ohne Diskussion klar, dass wirklich alles restituiert werden soll, was nicht der Universität gehört“, betont Ursula Schachl-Raber. Es geht ohnehin meist nicht um große Werte, „sondern um Emotionen, um das Gefühl später Gerechtigkeit“. „Das Meiste stammt von normalen Menschen, die zu Hause Bücher gesammelt haben“, weiß Irmgard Lahner.
Gestern Mittwoch (27.1.) wurde dem Stift St. Peter ein Konvolut von 55 Graphiken übergeben. Auch das Stift Michaelbeuern hat bereits fünf Bücher und zwanzig Graphik-Blätter zurück bekommen. Es ist ja nicht so bekannt in der Öffentlichkeit: Die Universitätsbibliothek Salzburg hat eine große Menge Graphiken und Handzeichnungen, über zweitausend Katalognummern. „Ein ungewöhnlich großer Bestand, noch aus der Zeit der Fürsterzbischöfe“, erläutert Ursula Schachl-Raber.
Wie ist man überhaupt auf die Spur des Stifts St. Peter gekommen, als rechtmäßigem Besitzer der Graphiken, die heute übergeben werden? Auf den Blättern selbst fanden sich nämlich keine Vermerke. Ernst Frisch, dem Bibliotheksleiter in der NS-Zeit, hatte es insbesondere die eingangs erwähnte Spielkarte angetan. Im Katalog vermerkte Frisch: „Die Karte wurde von mir als Buchzeichen in einem St. Peterer Bande gefunden. 1943“. Das Einzelblatt interessierte Frisch so sehr, dass er mitten im Krieg einen Briefwechsel darüber mit dem Spielkartenmuseum Altenburg in Thüringen führte.
Deshalb und aufgrund weiterer vereinzelter Katalogvermerke schloss man, dass es sich um Raubgut aus St. Peter handelt. Warum gerade diese Graphik-Mappen in der Universitätsbibliothek verblieben sind, weiß man nicht.
Noch heuer, so lässt Bibliotheksleiterin Ursula Schachl-Raber durchblicken, werde die Zeit reif sein für weitere Bücherrückgaben. (Ende)