Der ICOMOS-Report gehe „von gänzlich falsch angewandten Begrifflichkeiten aus, was die Erhaltungswürdigkeit einer Stadt anbelangt. In diesem Sinne stellt er sogar eine Gefahr für das, was das Echte und Erhaltenswerte an Salzburg ausmacht, dar“, schreiben die Halle1-Architekten Gerhard Sailer und Heinz Lang. Der Bewahrungsgedanke ICOMOS baue „auf dem Begriffspaar der Authentizität und der Integrität auf und schreibt beides der Kernzone Altstadt, nicht aber den sie umgebenden Stadtteilen und der Neustadt zu.
Eine Stadt sei nun mal ständig in Veränderung begriffen. Ist das mit modernen Baumaterialien und Bauweisen erreichtete, rekonstruierte Mozart-Wohnhaus am Makartplatz „authentisch“? Ein anschauliches Beispiel für das „Unechte“ an Salzburg sei Mozarts Wohnhaus am Makartplatz, neu errichtet von Grund auf und mit neuen Materialien. Es habe „bei ungenauem Hinschauen eine ähnliche Erscheinung wie das Original“, sei aber „genau so wenig authentisch, wie eine noch so gut gemachte Fälschung der Mona Lisa.“ Der moderne Neubau solle „den Anschein erwecken, dass er Mozarts Wohnhaus gewesen sei. Richtig ist, dass dort über viele Jahrzehnte ein gänzlich anderes Haus gestanden ist. Die eigentliche Lüge ist also nicht der Nachbau, sondern die Behauptung, dass es sich dabei um Mozarts Wohnhaus handle. Mozart hat in diesem Neubau aber nie gewohnt … er hat es niemals gesehen und auch nie betreten.“ Somit sei das neue „Mozarts Wohnhaus“ historisch betrachtet „nicht authentisch, also nicht echt, es fehlt ihm die Integrität. Es kann nicht als Original bewertet werden. Dennoch scheint es im ICOMOS Bericht nicht als Gefährdung für Salzburg als Weltkulturstätte auf.“
Solche und viele andere Bauwerke, vor allem solche nach den Kriegszerstörungen, seien „anpasslerisch“ wiederaufgebaut worden. „Alles potemkinsche Objekte in der innersten Schutzzone und dennoch kein Problem für ein Weltkulturerbe?“, fragen die Halle1-Architekten.
. „Dass das ‚Raum:Werk:Lehen‘ bestehend aus ‚Neue Mitte Lehen‘, ‚@fallenhauser‘, ‚Parklife‘ und ‚StadtwerkLehen‘ als zentraler Teil des durch die Stadtplanung ausgerufenen Stadtentwicklungsprojektes ‚Entwicklungskorridors Ignaz-Harrer-Straße‘ unter dem Vorsitz von Architekt David Chipperfield mit dem Otto-Wagner-Städtebaupreis 2005 ausgezeichnet wurde, wird von ICOMOS gänzlich ignoriert.“
Die Architekten vermissen den ganzheitlichen Blick, denn man könne „eine Stadt nicht wie ein Denkmal betrachten. Weltkulturerbestatus hat nur dann einen Sinn, wenn man den Begriff ganzheitlich anwendet, samt Moderne, Postmoderne, Jetztzeit, bis hin zu den sich abzeichnenden notwendigen baukünstlerischen Strömungen.“
„Im Übrigen wird das Erscheinungsbild der Stadt weniger vom Dom oder vom Kloster Nonnberg bestimmt, als vielmehr von der über allem thronenden und wahrlich nicht zimperlichen Festung Hohensalzburg. Sie gilt als Wahrzeichen der Stadt. Somit wird die barocke Stadt dramatisch und augenscheinlich von einer anderen Epoche dominiert. In diesem Zusammenhang ist die unter dem Stichwort „Authentizität“ getroffene Aussage geradezu absurd: ‚Der Stadt gelang es, seine (?) historische Bausubstanz und das Stadtgefüge zu erhalten, obwohl sie durch Neubauten, welche nicht vollkommen mit der barocken Form harmonieren, gefährdet ist.‘“
ICOMOS argumentiert in dem Bericht auch damit, dass die historische Altstadt von Salzburg ein stimmiges Bild einer kirchlichen Residenzstadt darstelle und dass dieses Bild durch ungünstige Auswirkungen neuer Entwicklungen in der Pufferzone und der Umgebung gefährdet werde. Dazu Halle1: „Dieser Ansatz trifft nur dann zu, wenn man zur obersten anzustrebenden Maxime für die Stadt Salzburg den Status einer kirchlichen Residenzstadt erklärt, auch wenn inzwischen hunderte Jahre ins Land gezogen sind und wenn der Blick so verstellt ist, dass man dieses Ideal immer noch als unversehrt empfindet. Auf jeden Fall verlangt eine solche Sichtweise nach einem hohen Maß an Geschichtsausblendung. Für den unsensiblen Geist sei an die Gräuel des Zweiten Weltkrieges und seine Auswirkungen auf die Salzburger Altstadt mit einem ausgebombten Dom erinnert. Nicht zu vergessen sind die aktuellen und nachteiligen Auswirkungen und Schädigungen für die durch den Tourismus zertrampelte und ihm zuliebe verkitschte Altstadt. An dieser negativen Entwicklung der jüngeren Zeit hat das Etikett „Weltkulturerbe“ erheblichen Anteil und leistet kräftig Vorschub, genau so wie an den steigenden Grundstückspreisen und der Unerschwinglichkeit von Wohnraum für jüngere Bewohner/Familien in der „eigenen“ Stadt: ‚Salzburg das Weltkulturerbe, das barocke Kleinod am Rande der Alpen – kommen Sie, kaufen Sie ein oder kaufen Sie sich ein.‘“
Aus Sicht von Halle1 sei einer der größten Fehler des ICOMOS Berichtes „das gänzliche Außerachtlassen dessen, was eine Stadt für ihre Bewohner ausmacht, ihr natürliches soziales Gemeinwesen, das gesunde, auf realen Werten aufbauende Wirtschaftsleben, ihre zeitgenössische kulturelle Entwicklung und nicht zuletzt der zeitgemäße Weiterbau.“
Eine lebendige Stadt könne – nach den Vorgaben und Maßstäben von ICOMOS – nun mal kein Weltkulturerbe sein, „sehr wohl aber könnte eine verlassene Stadt dieses Etikett erhalten.“ Man könnte sie „am Tag von Touristen betreten lassen, am besten barfuß“.
„Das große Problem selbst ernannter Architekturkritiker ist die sich aus ihrem Wirken ergebende Erstarrung der Stadt“, schreiben Gerhard Sailer und Heinz Lang. „Eine Stadt kann nicht dem Tourismus zuliebe eingefroren werden.“
Hart gehen die beiden mit der veröffentlichten Meinung in den „Salzburger Nachrichten“ ins Gericht: „Konservative Medien setzen voraus, dass niemand das Neue wünscht, sie liegen damit aber falsch. Sie treiben damit Meinungsbildung autoritär voran, blenden die Sehnsucht vieler einfach aus und merken noch nicht, dass sich ähnlich wie bei der Politikverdrossenheit auch eine Medienverdrossenheit einstellt, wo sich viele an dieser rein ökonomisch motivierten Themenerzeugung nicht mehr beteiligen wollen. Wenn Chefredakteur Perterer von abgehobenen Architekten spricht kann man ihm nur Präpotenz der Journaille entgegenhalten. Am Beginn der lang angelegten Kampagne befragte man den „Gwandhausbesitzer“ Gössl, der selbst im immerwährenden Grünland gebaut hat, nach seiner ‚Expertenmeinung als Trachtenhersteller‘ zu den architektonischen Belangen und Grundfragen der Stadt.
In diesem Sinn sprechen die Halle1-Architekten von vorherrschender „hausgemachter Inkompetenz“: „Salzburg möchte die Eigenverantwortung abgeben und bettelt ICOMOS herbei.“