Viel heiße Luft um die Sonne

GRAZ / JELINEK / SONNE/LUFT

18/10/23 Die Sonne hebt zu einem selbstverliebt-resignativen Solo an und die Luft beklagt vielstimmig, dass sie knapp wird auf Erden. Das Text-Paar Sonne / Luft von Elfriede Jelinek als Österreichische Erstaufführung im Schauspielhaus Graz.

Von Reinhard Kriechbaum

Guten Morgen, Sonnenschein!“ Nana Mouskouri hat diesen läppischen Schlager in den 1970er Jahren geträllert, aber da waren die sieben Leute, die Emre Akal uns im Grazer Schauspielhaus in einer Orbit-Station vorführt, wohl schon mindestens zehn Jahre erdfern unterwegs. Die Sonne reflektiert ihr eigenes Dasein und damit natürlich jenes der Erdlinge. Zwei mal kurz on screen, eine gute Stunde lang aber als KI-Stimme aus dem Hintergrund. Mit dieser Raumstation hat sie einen weiteren Trabanten bekommen. Dort sollte es besser sein als auf der Erde, ist aber auch nicht alles eitel Butterschmarren...

Das Ding, von dem aus man durch ein riesiges herzförmiges Fenster allerlei Gesteinsbrocken durchs All fliegen sieht, dreht sich erdengleich. Langsam, aber unerbittlich. Auf der Drehbühne fahren immer die gleichen Zimmerchen vorbei und die Menschen bringen sich mit den immer gleichen Tätigkeiten im Wortsinn über die Runden. Auf vielen Bildschirmen werden ihnen eine Natur und ein Leben vorgeführt, das sich die KI ausgedacht hat. Alles schaut dort einigermaßen lebensecht aus und ist doch ein bisserl anders. Taugt Hundefutter-Werbung als Role model für ein glückliches Leben auf einem künstlichen Erdtrabanten?

Man fühlt sich mit dem Bühnenbild von Mehmet & Kazim in „Raumschiff-Enterprise“-Zeiten zurückversetzt. Alles herrlich-altmodisch. Nierentisch neben dem Fernsehsofa. Das deutsche Künstlerduo nimmt gerne auch Anleihen bei der Hip Hop- und Graffitiszene. Viel Gymnastik ist also angesagt im All, wo man sich federnden Schrittes von privaten Zimmer in öffentliche Räume mehr schleppt als bewegt. Der Würstelstand mutiert in eine DADAShake-Mensa. Das ist der Sozialraum für die Bewohner. Im Schlafzimmer geht’s nicht gar so anregend zu, auch die Erotik scheint auf der Erde zurückgeblieben zu sein. Drei Männer pinkeln gemeinsam, das ist schon ziemlich das Heftigste, was es zu berichten gibt. Ach ja, eine der Frauen ist schwanger, eine Gebärstation ist glücklicherweise auch an Bord. Aber keine Krabbelstube. Das Neugeborene wird in einem Zeremoniell dem Feuer überantwortet. Am Authentischsten ist noch der beleibte Essensausgeber, der mit Hingabe in der Orbit-Mensa staubsaugt.

Über all dem also die Sonne mit einer Jelinek-Suada, die irgendwie altersmilde ausgefallen ist. Unser Zentralgestirn ist als Göttin sehr mit sich selbst und der eigenen Identität beschäftigt. „Wenn ich will, kann ich auch Frau sein und die Männer verbrennen.“ Ja eh, aber „bin ich sicher, dass ich ein Mann bin?“ Einerlei, denn „darauf kommt es an: ich, ich ich!“ Das mit dem „Ich“, das man einer hell strahlenden, feurigen Göttin gerne zugestehen möchte, hat aber auch einen Haken, wenn man als Sonne an die ex- und implodierende eigene Zukunft denkt, fern, aber gewiss. Trübe Aussicht auf eine Existenz als erkalteter Gesteinsbrocken, wenig Genugtuung, dabei auch die Erde versengt zu haben.

Das gegenwärtige Welt-Bescheinen ist auch nicht das Gelbe vom Ei, klar. Wir sind in einem Text der Jelinek, wenn sie sich in dem im Vorjahr in Zürich uraufgeführten Text-Paar „Sonne / Luft“ auch mehr philosophisch und melancholisch als angriffig gibt.

Notfall im All, rotes Alarmlicht sogar im Zuschauerraum, ein Rütteln auf der Bühne und ein kurzzeitiges Erstarren. „Keine Sorge, der Autorpilot weiß schon, wo es lang geht!“ Gleiches Setting, aber jetzt ist die Luft dran, die Bewohner der Raumstation sind an den Wörtern. Die Luft weht als Lüftchen von Sentenzen durch die komfortable, aber logischerweise begrenzte Kunst-Wohnlandschaft im All. Kein Wunder, dass die Luft zuerst über den Raum und dessen Grenzen reflektiert. Klar hat die Luft einiges zu sagen und zu klagen darüber, wie man auf der Erde mit Ihresgleichen, also mit der Natur umgeht. Mehr als eine Windbö von Pessimismus darob, was Mensch und Natur angeht.„Jeder Höhenflug sollte überhaupt verboten werden.“

Der Abend lebt vom starken Bühnenbild und von der eindringlichen Musik-Kulisse, die der Münchner Multi-Instrumentalist Enik erdacht hat. Fein synchronisiert sind Bewegung und Musikakzente, technisch gefinkelt abgestimmt. Fein auch die Sprechtechnik der sieben Akteure. Regisseur Emre Akal spielt lustvoll herum an den Grenzen zwischen Science fiction und Nostalgie. Das hat seinen Reiz und steckt im Detail voller Ironie. Im klassizistischen Grazer Schauspielhaus gibt es rund um die Bühne einen Golddekor-Streifen mit den Namen der Leitsterne deutscher Kunst. Über Goethe haben die Witzbolde ein Schildchen Jelinek geklebt.

„Nicht einmal ich kann meine Bahn bestimmen“, hat die selbstverliebte Sonne geklagt. Jetzt die Luft, etwas trotzig angesichts der Option, sich als steife Brise erlebbar zu machen: „Wenn wir schon aufstehen, erheben wir uns gleich.“ Wie immer bei Elfriede Jelinek sollte man für die sprachspielerischen Bonmots einen gespitzten Bleistift und einen Notizblock dabei haben. Aber „Sonne / Luft“ ist gewiss nicht der Nobelpreisträgerin brillantester Text. Eher wollte man argwöhnen: Viel heiße Luft um die Sonne.

Aufführungen bis 27. Dezember – www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Bühnen Graz / Lex Karelly