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Echte Liebhaber und brutale Avatare

ZÜRICH / OPERNHAUS / COSÌ FAN TUTTE

06/11/18 Trotz Hausarrests in Moskau inszeniert Kirill Serebrennikov Così fan tutte in Zürich. Mit dem Aufruf „Free Kirill“ auf den T-Shirts der Protagonisten und des Regieteams war der russische Theater-, Film- und Opernregisseur symbolisch beim einhelligen Schlussapplaus am Sonntag im Opernhaus Zürich dabei.

Von Oliver Schneider

Wegen Veruntreuungsvorwürfen darf Kirill Serebrennikov seine Moskauer Wohnung seit August 2017 nur noch mit Fussfessel verlassen. Mit der Außenwelt kann er nur über seinen Anwalt kommunizieren. Proteste von Künstlerkollegen und Politikern weltweit verhallten bisher ungehört. Umso bewundernswerter ist es, wie sich der ehemalige Leiter Moskauer Gogol-Zentrums nicht mundtot machen lässt.

Intendanten wie Andreas Homoki in Zürich helfen ihm dabei. Im Februar fiel der definitive Entschluss, Serebrennikov mit der Inszenierung und Ausstattung von Mozarts Dramma giocoso Così fan tutte zu betrauen. Das Konzept stand, und Evgeny Kulagin konnte es dank langjähriger Zusammenarbeit der beiden gemeinsam mit dem Videodesigner Ilya Shagalov umsetzen. Die Proben wurden gefilmt, via Anwalt Serebrennikov zugestellt, der seine Anmerkungen und Korrekturen wiederum via Videobotschaften auf demselben Weg nach Zürich schickte.

Den beiden Schwestern aus Ferrara wird vom fatalistischen, in der Liebe enttäuschten Don Alfonso und ihren beiden Liebhabern noch viel grausamer mitgespielt, als Mozart und sein Librettist Lorenzo da Ponte es geplant haben - entsprechend dem Geist unserer Zeit, in der die Hemmschwelle für Gewalt bedenklich sinkt.

Hübsch getrennt sporteln Frauen und Männer im Fitnessstudio in zwei übereinanderliegenden Räumen: die Damen oben beim Body-Workout oder auf dem Stepper, die Männer mit Gewichten und am Punching-Ball. Noch verschaffen sich die Männer im Gym Raum für ihre aufgestauten Aggressionen. Statt mit einem harmlos scheinenden Kleidertausch stellen sie dann aber die Treue ihrer Geliebten mit von ihnen gesteuerten Doppelgängern auf die Probe, in denen sie ihre dunklen Seiten grausam ausleben. Serebrennikov dehnt dafür das Geschehen zeitlich aus. Ferrando (Frédéric Antoun stimmlich leuchtend) und Guglielmo (vollsaftig Andrei Bondarenko) ziehen wirklich in den Krieg und sterben den „Ehrentod“. Für das Weitere stand Jerry Zuckers Film „Ghost“ Pate.

Die Urnen nehmen die Frauen gleich mit nach Hause in ihre schicke Wohnung – die beiden Räume übereinander erlauben rasche Szenenwechsel. Despina ist mehr eine Beraterin oder Mental Coach als eine Zofe, die den beiden in ihren Arien die aktuelle Rolle der Frau (Kinder – Küche – Kirche) mit Videos und Powerpoint-Folien vor Augen führt und sie zur Emanzipation aufruft (quirlig und leicht Rebeca Olvera). Die 20.000 Schweizer Franken für das Unterstützen bei der Wette lässt sie sich von Don Alfonso (kernig Michael Nagy) gleich online überweisen, sodass dem Auftreten der neuen Liebhaber nichts im Wege steht. Die mit Thawbs bekleideten, ungebetenen Gäste verstören die Schwestern von vornherein. Noch mehr aber machen sie das, wenn sie sich als echte Widerlinge entpuppen, die sich die Schwestern auf gröbste Art unterwerfen.

Dorabella fügt sich, wie bekannt, rascher in die neuen Umstände ein (Anna Goryachova mit viel Temperament und Hysterie, aber zu viel Kraft für das Haus). Fiordilligi muss sich erst in ihrem Rondo "Per pietà, ben mio perdona" bei Guglielmo für ihre Schwäche entschuldigen, bevor sie sich dafür umso heftiger dem Liebesspiel mit dem Neuen hingibt (dramatisch-expressiv Ruzan Mantashyan, aber leider mit unangenehmen Schärfen). Deftig, rau und mit teilweise rechtem Tempo klingt es aus dem Graben, wo Cornelius Meister die Philharmonia Zürich synchron zum Bühnengeschehen, aber stellenweise nivellierend durch den Abend führt.

Im zweiten Finale wähnt man sich in 1001 Nacht, so sehr werden die Schwestern für die Hochzeiten mit den neuen Männern geschmückt und gleichzeitig bewegungsuntauglich gemacht. Die Männer haben die Frauen einmal mehr unterworfen. Plötzlich switcht das Orchester vom Così-Finale in die Ouvertüre zu Don Giovanni, denn die alten Liebhaber machen sich aus dem Jenseits bemerkbar. Das ist zwar effektvoll, aber nach allem, was bis dahin passiert ist, gar nicht nötig. Als reinen Zynismus muss man ohnehin das Schluss-Tutti „Glücklich der Mensch, der jede Sache von der guten Seite nimmt“ nach kurzweiligen dreieinhalb Stunden empfinden.

Weitere Vorstellungen bis 1. Dezember im Opernhaus Zürich - www.opernhaus.ch
Bilder: Opernhaus Zürich / Monika Rittershaus

 

 

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