Das ist wirklich etwas, was man hören lassen und in dem Fall auch herzeigen kann! Da hat die Universität Mozarteum also fast alle Klaviertiger auf einmal aus dem Käfig gelassen und sie zu einer singulären Sache vergattert: Es hat ja nicht nur Beethoven Diabelli-Variationen. Seine 33 Stücklein sind auf dieser DVD nicht das Thema, sondern es gibt aus der Zeit (1821) ja fünfzig weitere, von Franz Schubert und Carl Cerny bis hinunter zu Kleinst- und Gar-nicht-Meistern der Epoche. Und dann gibt es noch weitere anderthalb Dutzend Variationen und Paraphrasen, die im Diabelli-Jahr 1981 vom ORF initiiert worden sind. Zeitgenössische Komponisten waren damals aufgefordert, sich mit dem Walzerthema des Herrn Diabelli auseinander zu setzen. Diesem Ruf folgten auch einige Salzburger Komponisten, Cesar Bresgen, Helmut Eder, Gerhard Wimberger und Gerhard Winkler.
Das anzuhören, macht rechten Spaß. Erstaunlich Kreatives steht neben sagenhaft Banalem, und das gilt für die Diabelli-Zeitgenossen ebenso wie für die Gegenwartskomponisten. In die Kategorie „Tastenputzer“ ist Helmut Eder eingeordnet worden, der pikant und erfindungsreich in liebenswürdigstem Leggiero die Melodie entlang komponierte. Nicht weniger Augenzwinkern erkennt man in Wimbergers Variation. Er lässt die Melodievorlage beständig harmonisch „entgleisen“ - und sie findet doch immer irgendwie neuen Halt und hat Wiedererkennungswert. Humor sowieso, das ist bei Wimberger keine Frage.
Ein paar Fundstücke: Erzherzog Rudolf war Beethovens Klavierschüler. Was er unter dem verschwiegenen Kürzel S.R.D. (Serenissiumus Rudolphus Dux) zu Anton Diabellis Kompositionswettbewerb beigetragen hat, ist stilistischer Ultra-Beethoven, und allerbester noch dazu. Der elfjährige Liszt hat sich damals auch beteiligt – und er hat schon im holden Knabenalter mächtig tastengedonnert.
Wie Ordnung hineinbringen in eine solche Überfülle an Stücken? Sie sind in Kategorien zusammengefasst, vom „Klavierstunden-Sound“ bis zu „Chromatischen Eskapaden“, von „Etüdenhaftem“ bis zu „Getarnten Scherzi“. Immer steht unvermutet das Zeitgenössische neben dem Biedermeier. In der Klavierstunden-Abteilung lässt der Vorarlberger Gerold Amann das Thema immer wieder stecken bleiben, als ob der Tonarm über einen Kratzer in einer Vinylplatte springt.
Warum eine DVD und nicht bloß eine CD? Schadet gar nicht, wenn man die Finger der 65 Pianistinnen und Pianisten und auch einmal die Gesichter vor Augen hat: Einen solchen „Einblick“ in die Mozarteums-Klavierklassen bekommt man sonst ja nie. Ein paar Mal greifen auch Lehrer in die Tasten. Die Bildregie, vorbildlich zurückhaltend, hilft schon auch mit, wenn die Musik gar zu banal wird. Da darf die Kamera schon mal en passant die Netzstrümpfe einer jungen Spielerin ertasten. Es gab auch Dekorationen mit Notenprojektionen, die gelegentlich im Krebsgang laufen. Langweilig wird es jedenfalls nie, und die Musik steht trotzdem immer im Zentrum.
Zum Schauen gibt es natürlich auch, etwa wenn Gösta Neuwirth in seiner feinsinnigen Variation ein präpariertes Klavier verlangt und Wäscheklammern auf manchen Saiten stecken. Reizend das mollgetönte Scherzo von Schubert, und beinah schon komisch die Variation von Franz Xaver Mozart: Die klingt, als ob jede Melodiefloskel noch einen Blinddarm dran hätte, und das Ganze eignete sich gut, um die Fernsehwerbung gegen Blähungen zu untermalen.
65 Pianistinnen und Pianisten haben jetzt Zugabenstücke, die ihre Hörer rätseln und staunen lassen werden. - Und wir haben eine DVD, die wir nicht missen wollen.