Mit Macht nach oben und in die Gegenrichtung

CD-KRITIK / BACH / HIMMELFAHRTSORATORIUM

19/12/18 Bach, der mehr als geniale Recycler seiner selbst: Fast orgiastisch der Jubel der Pauken und der drei Trompeten, im Verein mit Traversflöte und zwei Oboen hört, mit dem Jesus im Himmelfahrtsoratorium hinaufgelobt wird „in seine Reiche“.

Von Reinhard Kriechbaum

Da kommt man schwerlich auf die Idee, dass genau dieser Eröffnungschor zuerst als Huldigungsmusik auf den Geburtstag des sächsischen Kurfürsten diente und dann noch ein weiteres Mal umtextiert wurde, als Festmusik nach dem Umbau der Thomasschule: „Hier steht unser Schulgebäude / hier erblicket Aug' und Freude / Kunst und Ordnung, Zier und Pracht“...

Eigen-Drittverwertung Bachs also, der – man lasse sich nicht täuschen von der niedrigen BWV-Nummer – als Fünfzigjähriger hinreichend geniale Dinge aus eigener Feder angehäuft hatte. Und wenn das Parodieren auch zeitüblich war: So grenzgenial wie Bach sind's ja doch nur wenige angegangen. Das Himmelfahrtsoratorium BWV 11 ist nicht annähernd so populär geworden wie die Passionen oder das Weihnachtsoratorium. An der Wirkmächtigkeit der Musik liegt das gewiss nicht.

Felix Koch hat in dieser Einspielung ein äußerst homogenes, stilistisch aufeinander eingeschworenes und auch geographisch kompaktes Ensemble zusammen gebracht: Der mit dem Neumeyer Consort rhythmisch punktgenau wetteifernde Gutenberg-Kammerchor ist ebenso an der Musikhochschule Mainz beheimatet. Und die vier Solisten (Jasmin Hörner, Julien Freymuth, Christian Rathgeber, Christian Wagner) sind aus dem Exzellenzprogramm „Barock vocal“ dieser Ausbildungsstätte herausgewachsen: Beste Voraussetzungen also für eine stilistisch schlüssige Interpretation aus einem Guss.

Hinein also mit beherztem „Lobet Gott in seinen Reichen“ in die Erzählung von der Himmelfahrt, die erst einmal den Countertenor mit sagenhaft schluchzenden Geigen auf der mit dicklichem Orgelcontinuo anschaulich gemachter Schwerkraft auf der Erde zurücklässt. Diese Arie „Ach, bleibe doch, mein liebstes Leben“ und die vorangehende Flöten-begleitete Tränen-Schilderung des Basses wirken musikdramaturgisch wie der Matthäuspassion entlehnt. Der junge Countertenor Julien Freymuth trägt innig und ohne falschen Affekt durch diese sieben Minuten intensiven Klagens. Den Stimmungsumschwung hin zur positiven Erwartung der Wiederkunft markieren die zwei „Männer in weißen Gewändern“. Diesen Engelsauftritt lässt Bach bibelgetreu Tenor und Bass ausmalen, in einem himmlisch wohlgeordneten zweistimmigen Fugato. Dem Optimismus in der Sopran-Arie „Jesu deine Gnadenblicke“ mit Flöten- und Oboen-Begleitung ohne jede Continuo-Erdschwere (nur Violinen und Bratsche markieren unisono eine Unterstimme zu Flöte und Oboen) kann man sich nicht entziehen. Der Schlusschoral bettet die Choralzeilen wieder in ungebremsten Trompeten- und Holzbläser-Jubel.

Das also ist die eine Facette der Himmelfahrt. Theologisch deutlich sperrigeres Textmaterial hat Bach in der ebenfalls zum Himmelfahrtstag, aber elf Jahre früher entstandenen Kantate „Wer da gläubet und getauft wird“ BWV 37 verarbeitet. In dieser Einspielung steht sie gleichsam als besinnlicher Mittelteil vor der Pfingstkantate „O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe“, die Bach ebenfalls mit drei Trompeten und Pauken, mit Traversflöte und Oboen ausstattet. So ergibt sich eine effektsichere Abrundung, die drei Werke zusammen bilden gemeinsam eine Art finales Oratorium zum Osterfestkreis, kompiliert aus Musik unterschiedlicher Schaffenszeiten. Felix Koch kitzelt rhetorisch viel Effektvolles heraus, lässt etwa im Eröffnungschor das malerisch gedehnte Wort „ewig“ von den jeweils anderen Chorstimmen wie in prasselndem Feuer umzüngeln. Tönender Religionsunterricht mit höchster Überzeugungskraft.

J.S. Bach: Himmelfahrtsoratorium BWV 11, Wer da gläubet und getauft wird BWV 37, O exiges Feuer, Ursprung der Liebe BWV 34. Gutenberg-Kammerchor, Neumeyer Consort, Ltg. Felix Koch. Rondeau, ROP6154 – www.rondeau.de