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Löser der Zunge, Erlöser der Herzen

LESEPROBE / NEUHARDT / NUR DIE STILLE STILLT

17/12/18 Wenn Prälat Johannes Neuhardt vom christlichen Gott redet, denkt er die Philosophie der Antike immer mit. Und wenn er vom griechischen Gott Dionysos erzählt, öffnet er dem erstaunten Leser Perspektiven auch auf das Wunder von Bethlehem. Der Essayband Nur die Stille stillt ist im Verlag Müry-Salzbmann erschienen. - Hier eine Leseprobe.

Von Johannes Neuhardt

Vermutlich schon um die Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends ist diese Gestalt in Griechenland nachweisbar – der wilde Gott, der durch die Bergwälder Thrakiens rast, der die Urkraft alles Vitalen in sich birgt, der Menschen und Tiere zur Raserei bringt und der zugleich der Gott der edelsten Kulturpflanze, des Weines, ist. Der trunkenmachende Wein ist aber gepaart mit dem nüchtern machenden Efeu: Sein Erkennungszeichen, der Thyrsosstab, ist stets mit Efeublättern umwunden.

Der Dionysoskult ist in der gesamten Antike verbreitet. Es gibt kein Theater ohne Dionysosaltar und den dort diensttuenden Priester oder der Priesterin. Ein Zentralheiligtum ist nicht bekannt. Dionysos begegnet uns allerorten in der Antike. Er ist der erste uns bekannte Gott-Mensch, denn er ist der Sohn des ewigen Zeus, und seine Mutter ist eine sterbliche Frau, die Tochter des Königs von Theben: Semele. Seine Geburt ist reichlich mysteriös: Er wird aus dem Mutterleib der sterbenden Semele herausgezogen, aber erst im Schenkel des Zeus vollendet er sich zum Sohn Gottes. Er ist nicht nur seiner Zeugung nach gottmenschlich, sondern auch gemäß seiner Geburt. Dieses göttliche Kind, dessen Lächeln der Welt Frieden und Freude bringt, ist im Mythos und in der Kunst mit allem Glanz dargestellt worden.

Dionysos reist durch die gesamte bewohnte Welt, um den Menschen das höchste Glück, den Weinstock, zu bringen. Schon bei Euripides gibt es eine Erzählung, in der Dionysos Wasser in Wein verwandelt. In einer anderen Szene ist er der Erlöser Ariadnes. Von ihrem Liebhaber betrogen und auf der öden Insel Naxos zurückgelassen, wird sie von Dionysos auf einer seiner Reisen gefunden und befreit, und dann nimmt er sie zur Gattin.

Dieser Gott ist immer Erlöser – griechisch: Lyaios – nicht nur, durch den Wein, Löser der Zunge, sondern auch Löser der Herzen. Zahlreiche Feste ranken sich um diese Hochzeit des Dionysos mit Ariadne. Aber auch Dionysos erleidet das Schicksal, das nach Mysterienglauben jeder Gott erleidet, der auf die Erde kommt. Er muss sterben. In zwei Formen wird sein Tod erzählt; einmal zerreißen ihn die Titanen, und in der anderen Version wird er Opfer seines eigenen Segens, weil ihn weintrunkene Bauern erschlagen. Doch dann entreißt Athene dem toten Gott das noch zuckende Herz, um das herum Zeus einen neuen Dionysos bildet. So deutet der Mythos die Auferstehung des Gottes an. Der neue Dionysos hat nicht mehr nur die Macht in der irdischen Welt, er vermag auch den Toten Heil und Glück zu bringen. Deshalb erweckt er zunächst seine Mutter Semele und dann seine inzwischen verstorbene Gattin Ariadne, schließlich aber alle, die im Leben mit ihm gewandert sind. So entsteht das Abbild der fröhlichen Dionysosgefolgschaft im Jenseits, wie sie auf den Sarkophagen der Spätantike zu sehen ist.

Johannes Neuhardt: Nur die Stille stillt – Mythos Mysterium Mystik. Verlag Müry-Salzmann, 96 Seiten, 19 Euro – www.muerysalzmann.at
Bild: dpk-krie
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