In Papua Neuguinea beschmieren sich Mitglieder eines Clans mit Lehm und setzen sich Fratzenmasken auf, um ihre Feinde zu erschrecken. Die Nuba im Sudan, die eindrucksvolle Ringkämpfe miteinander austragen, haben mit ihrer Körperbemalung einst Leni Riefenstahl begeistert. Aber es ist nicht nötig, das Exotische in fernen Regionen zu suchen, es findet sich auch in unmittelbarer Nähe, gleichsam bei uns vor der Haustür. Kulturjournalist Reinhard Kriechbaum hat schon mit seinem Buch „Weihnachtsbräuche in Österreich“ gezeigt, in was für einer vielfältigen Weise alt hergebrachte Riten im Alpenland gepflegt werden. Dasselbe trifft auch auf Kriechbaums Buch zu, das Frühlingsbräuche zusammenfasst: „Scheller, Schleicher, Maibaumkraxler. Bräuche in Österreich: Fasching, Ostern, Frühling“.
Inzwischen hat Kriechbaum seine Brauchtums-Recherchen auf den ganzen Jahreskreis ausgedehnt und die Ergebnisse liegen in einem weiteren Buch vor: „Hochzeitslader, Krapfenschnapper, Seitelpfeifer Bräuche in Österreich – Sommer, Herbst und Lebenskreis“.
Alt hergebracht sind die Bräuche übrigens nicht in jedem Fall. Während alte in Vergessenheit geraten und aussterben, kommen andere nach. Der Tiersegen gehört zu den neueren Bräuchen. Eine Pfarre in Linz tut sich damit besonders hervor. Groß- und Kleintiere sind gleich segenswürdig. Statt dem originalen Tier kann für die Segnung auch ein Foto vorgewiesen werden. Kraftfahrzeuge entgehen in vielen Pfarren übrigens auch nicht der Segnung. Noch jünger als die Tiersegnung, ein Brauch aus unseren Tagen, besteht darin, an einem Brückengeländer ein kleines Vorhängeschloss anzubringen, das die ewige Liebe eines Paares besiegeln soll.
Zunächst ordnet Kriechbaum die vielen Bräuche nach den Lebensabschnitten. Von der Geburt bis zum Tode wird ein Menschenleben von Bräuchen begleitet. Das Heiraten hat die Fantasie der Bräuche-Erfinder ganz besonders beflügelt. Die Braut erlebt vom Aufwecken am Morgen mittels ausgelassenem Krach bis zum Ritual, das sie endgültig „unter die Haube“ bringt, einen ereignisreichen Tag. Häufig wird sie ja auch gestohlen. Sollte es aber nicht bleiben. Vor allem dem Bräutigam nicht.
Auch das bäuerliche Jahr hat eine Fülle von Bräuchen ausgeprägt. Wenn Prozessionen über die Felder ziehen, bringt das der Landwirtschaft Glück. Wenn geeignete Seen vorhanden sind, werden auch sie für Prozessionen genützt. Sie machen noch mehr Effekt als Umzüge auf festem Boden. Das Erntedankfest mit der obligaten „Erntekrone“ ist übrigens kein Brauch, der in Urzeiten zurückreicht. Es ist viel jüngeren Datums und wurde nicht etwa von religiösen Instanzen eingerichtet.
Manche der vergessenen Bräuche erleben eine Wiederbelebung. In Klaffer am Hochficht in Oberösterreich toben Kinder, wenn anderswo sich die Menschen über das Martinigansl hermachen, als Wölfe verkleidet mit Kochgeschirr lärmend durch den Ort. „Wolfablassen“ wird der Brauch genannt. Er erinnert an die Angst vor Wölfen, die in früheren Zeiten, aus dem Böhmerwald kommend, die Gegend verunsicherten.
Kriechbaum bietet eine Fülle von Wissenswertem auf und vermittelt es in anschaulicher, keineswegs trockener Form. Im Anschluss an jedes Kapitel finden sich Angaben darüber, wo und wann der jeweilige Brauch praktiziert wird und wo weiterführende Informationen zu bekommen sind. Nicht selten wird mit einem Augenzwinkern erzählt.