Aber das ist nur der Schock nach einem Unfall – und „Kaltfront“ wird kein „Salzburg-rimi“. Die Silhouette der Stadt taucht zwar gelegentlich aus dem Schatten auf, bleibt aber wohltuend nebelhaft. Die Vernissagenbesucher – der Ich-Erzähler betreibt mit dem Geld seiner Gemahlin Claudia eine vorübergehend erfolgreiche Galerie – könnten ihre Küsschen auch in jeder anderen Stadt in die Luft hauchen.
Ein Ich-Erzähler macht es seinem Autor erfahrungsgemäß nicht leicht. Das ständige „Ich“ beschwert die Handlung, macht es dem Leser oft schwer mit penibel geschilderten Selbsterkenntnissen, Bekenntnissen und Gewissenserforschungen. Das „Ich“ in Manfred Kochs „Kaltfront“ ist freilich von einer Selbstbezogenheit, die in ihrer bizarren Ausschließlichkeit schon fast wieder sympathisch ist.
Tatsächlich ist der G’störte in „Kaltfront“ nicht Markus, mit Frau und Galerie, sondern dessen jüngerer Bruder Thomas: kleinwüchsig, verbissen davon überzeugt, dass Gott und die Welt sich gegen ihn verschworen und die tödlich verunglückten Eltern ihn aus Abscheu einfach verlassen haben. Ein Maler will er sein und berühmt - und jetzt liegt seine Ehefrau Tanja nach einem Selbstmordversuch im Koma. Spätfolge einer Vergewaltigung, wie Thomas meint. Der große Bruder soll ihm helfen, den Vergewaltiger aufzuspüren. Dabei ist Tanja eigentlich nur der Ersatz für Roswitha, die Jugendfreundin großen Bruders, die Thomas geliebt hat, und die damals spurlos verschwunden ist...
Reichlich viele Motivfäden, die alle sehr lang ausgesponnen werden. Sprachlich ist „Kaltfront“ rein erzählend, oft ein wenig langatmig beschreibend. Es bleibt wenig Raum für den wahren Horror, der durch Ungesagtes entsteht. Dennoch stößt man nicht selten auf wohltuend lapidare Sätze, wie „Claudia hatte einen Traum, und ich hatte nichts Besseres vor“.
Der Aufbau von „Kaltfront“ ist spannend, immer dichter knüpft Manfred Koch das Netz aus Abhängigkeiten, Schuldgefühlen und Schuld. Der emotionale Sumpf wird zum Aufmarschgebiet immer bedrohlicher werdender Figuren der Vergangenheit. Wie der Ich-Erzähler – er ist Krebspatient im Endstadium und hämmert im Krankenhausbett seine Lebensgeschichte in den Laptop, weil er nicht ständig die Infusionsflaschen und Plastikbeutel anstarren will – den Blick in immer tiefere Abgründe eröffnet, ist hervorragend gemacht und lässt einen das Buch nicht unausgelesen aus der Hand legen.
Dass die Krankenhauspsychologin sich einbildet, in diesem Chemotherapie-Patienten ihren unbekannten Vater gefunden zu haben, mag ein wenig aufgesetzt wirken, ist aber just der Handlungsstrang, an dem der Autor den Spannungsfaden am meisterhaftesten anzuziehen weiß.
Manfred Koch liest am Freitag (25.10.) beim Krimi-Fest Peng! im Literaturhaus aus „Kaltfront“.