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Alles über den Asteroiden 656 755

BUCHBESPRECHUNG / THUSWALDNER / STILLE NACHT

14/12/18 Hallstatt ist als Eins-zu-eins-Modell in China gelandet. Dieses Schicksal ist Oberndorf bisher erspart geblieben, der Ort ist denn doch nicht pittoresk genug. Dafür steht eine Kopie der Stille-Nacht-Kapelle im Wallace J. Bronners Christmas Wonderland im amerikanischen Frankenmuth.

Von Reinhard Kriechbaum

Von einer Verzerrung der wahren Dimensionen erfahren wir in Werner Thuswaldners Buch „Stille Nacht! Heilige Nacht! Die Geschichte eines Liedes“. Als diese Kapellen-Replik in Michigan nämlich geweiht wurde, war der ehemalige Bürgermeister von Oberndorf, Raimund Traintinger, unter den Ehrengästen. Ein Mann mit untrüglichem Sinn für Proportionen. Er hat zum Maßband gegriffen – und tatsächlich haben die Wonsderland-Baumeister maßlos übertrieben und die Kantenlänge des Oktogons etwas zu großzügig angetragen. Es besteht also – zumindest für genaue Betrachter – nicht die geringste Verwechslungsgefahr, was in China mit Hallstatt angeblich sehr wohl passiert.

Aber wir schweifen ab. Es geht ums Lied der Lieder und seine Schöpfer. Also dann doch wieder um Dinge auch ganz weit weg, etwa um den Asteroiden 656 755, der seit 2004 den Namen „Gruber-Mohr“ trägt. Thuswaldner nennt ihn gleich neben zwei lokalen Produkten: neben der von einer Bäckerei in Berndorf angebotenen „Franz Xaver Gruber Torte“ (Schokoladenbiskuit mit Marillenmarmelade und Schokoladen-Oberscreme) und den nicht minder vielversprechenden „Franz Xaver Gruber Schnitten“. Freilich: „Beide Produkte genießen noch nicht ganz die Popularität der Mozartkugeln“, muss der Autor zugeben.

Thuswaldner sei ein „leidenschaftlicher Kenner“ der Stille-Nacht-Materie, verheißt das Cover. Das ist nicht übertrieben. Gleich im Vorwort macht er klar, dass jede Idealisierung, jede nachträgliche Ausschmückung der Liedgeschichte völlig fehl am Platz sei. Die Geschichte sei eindrücklich genug, auch wenn man sich bloß an die Fakten hält.

Und wie Thuswaldner diese Fakten aufbereitet! Wie er die Lage in Oberndorf während der Franzosenkriege erzählt, taugt nicht als Einschlaflektüre. Minutiös dröselt Thuswaldner Vor- und Rahmenbedingungen auf, schildert die Biographien der Liedschöpfer mit Liebe zum Detail. Da es schließlich um Giganten der Lied-Kleinkunst geht, bleibt kein noch so geringes Detail unberücksichtigt. Wie ein (Hilfs-)Priester damals lebte, welche sozialen und künstlerischen Optionen ein musikambitionierter Dorfschulmeister damals hatte – davon erzählt Thuswaldner detailgenau, aber auch mit spürbarer Erzähl-Lust, die sich als Lese-Lust auf den Leser überträgt.

Die Rezeption des Liedes ist natürlich auch ein Thema. Dass Felix Gruber, der Enkel des Komponisten, in einem Film in die Rolle des Großvaters schlüpfte, dass er sich als dessen posthumer PR-Anwalt geriert hat, wie man es sonst eher von Operttenschreiber-Witwen kennt: Das ist nicht unlustig zu erfahren. Felix Gruber ist übrigens auf einer enormen Menge Werbepostkarten in eigener Stille-Nacht-Sache sitzen geblieben. Eigentlich wollte er ordentlich Kohle machen.

Und da ist noch ein Film, der es uns angetan hat: In den 1980er Jahren trieb es in einem wahrscheinlich wenig cineastischen, aber gewiss handlungsreichen Movie eine Dorfhure mit Mohr, der es mit dem Zölibat nicht so genau genommen habe. Der Stille-Nacht-Dichter im Bett mit Nastassja Kinski! Konservative Kreise haben verhindert, dass diese Frivolität hierzulande in die Kinos kam. Thuswaldner fand noch ein hübsches Detail, das an wahrhaft göttliche Vorsehung und Richtungskorrektur von oben denken lässt: „Ein Vorfall bei den Dreharbeiten in Salzburg fand nur wenig Beachtung: In einer Drehpause brachten die zwei Hauptdarsteller einen Lebensmüden im letzten Moment davon ab, in die Salzach zu springen. 'Mohr' hielt ihn fest, 'Gruber' holte Hilfe herbei.“

Werner Thuswaldner: Stille Nacht! Heilige Nacht. Die Geschichte eines Liedes. Residenz Verlag, Salzburg St. Pölten 2018. 175 Seiten, 20 Euro – auch als e-book erhältlich – www.residenzverlag.com
Werner Thuswaldner präsentiert sein Buch heute Freitag (14.12.) um 20 Uhr auf Einladung des PEN Club in der Franziskanergasse 5

 

 

 

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