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„ A Vagnieg'n mit'm Töten“

DIAGONALE / MURER – ANATOMIE EINES PROZESSES

13/03/18 „Graz ist nicht Jerusalem“, lägt Christian Frosch den Nazijäger Simon Wiesenthal sagen, und damit ist vorgezeichnet, wie die Geschichte ausgeht: Franz Muhrer, der „Schlächter von Vilnius“, wird nach zehn Tagen freigesprochen. Das Wort „Justizskandal“ greift zu kurz und ist auch nicht allein das Thema des Films.

Von Reinhard Kriechbaum

Mit dem aufrüttelnden, deutlich mehr als halbdokumentarischen Spielfilm „Murer – Anatomie eines Prozesses“ beginnt heute Dienstag (13.3.) in Graz das Festival des österreichischen Films „Diagonale“. Wahrscheinlich war am Eröffnungsabend dort noch nie ein aufrüttelnderer Film zu sehen.

„Ein Gerichtssaalkrimi, in dem sich der Freispruch für einen Mann als Urteil über eine Nation herausstellt“, so der Schriftsteller Robert Menasse über diesen Film. Es war aber zuerst einmal ein Urteil der Nation über einen der Ihren. Kein Vorverurteilen, sondern ein Vor-Freispruch. Franz Murer, Bauer aus der Obersteiermark, leitete 1941 bis 1943 das Ghetto von Vilnius. Von 80.000 litauischen Juden überlebten sechshundert. Nicht wenige, so berichteten Überlebende, hatte Murer selbst auf dem gewissen. Er hatte „a Vagnieg'n mit'm Töten“ wird eine der Zeuginnen vor Gericht unter Tränen sagen. Murer saß dann für fünf Jahre in russischer Haft, kam frei. Erst 1963 wurde ihm in Graz neuerlich der Prozess gemacht. Da war er längst ein angesehener Mann in der Steiermark, bestens vernetzt im ÖVP-Bauernbund. „Er ist heute ein überzeugter Demokrat und ein praktizierender Katholik“, sagt einer wohlwollend über ihn, der politisch allergrößtes Interesse hat, dass dieses Verfahren nicht zum „Schauprozess“ wird, sprich: dass die Akte Murer möglichst rasch und leise wieder geschlossen wird.

Der Filmemacher Christian Frosch hat sich eben diese Akte (und nicht nur sie) vorgeknöpft. Sein Drehbuch fußt auf den protokollierten Aussagen und bindet sie ein in eine fiktive Geschichte, in der auch der Bauernbund-Präsident und der SPÖ-Justizminister (Christian Broda) im Verborgenen mauscheln. Simon Wiesenthal (gespielt von Karl Markovics) war jener Strippenzieher, dem es zu verdanken war, dass es überhaupt zum Prozess kam. Wiesenthal ist dann in Graz nicht in Erscheinung getreten, und das hatte verständliche Gründe: Zu groß waren Misstrauen, ja Hass ihm gegenüber, zu ur-mächtig verankert das Denken in den Schienen der noch nicht weit zurückliegenden Vergangenheit.

Das Atemberaubende an diesem Film: Es wird – da verspricht der Titel nicht zu viel – tatsächlich mit dem Seziermesser bloßgelegt, wie unauslöschlich die Nazi-Ideologie eingebrannt war in die Hirne und mehr noch in die Seelen der österreichische Bevölkerung. Dieses Denken war allemal mehrheitsfähig, bei den Besuchern im Gerichtssaal so wie in der Gruppe der Geschworenen. Auch der Richter war einst NSDAP-Mitglied und einer der Geschworenen als Siebzehnjähriger gar selbst in einem Tötungskommando tätig gewesen. Rasch gibt es da Einigkeit über „Gehorsam“, getane „Pflicht“, und überhaupt: „Es war ja Krieg!“

„Murer – Anatomie eines Prozesses“ hätte ein marktschreierischer Gutmenschen-Film werden können. Dem steuerte Christian Frosch akribisch entgegen. Den 137-Minuten-Streifen lässt er zu mehr als zwei Dritteln tatsächlich im Gerichtssaal spielen. Das Drehbuch fußt auf den Protokollen – und das echte Leben schreibt allemal die besten Bücher. Die Kamera nimmt die Gesichter der Menschen ins Visier. Das stumme Einverständnis, die nur mühsam im Zaum gehaltenen Emotionen bei den Zeugen, und immer wieder eben Franz Murer selbst, dem Karl Fischer weitgehend wortlos ein doch mehr als deutliches Profil gibt. Alle Achtung vor der genauen mimischen Arbeit auch mit Komparsen. Sonderkompliment an Kamera (Frank Amann) und Schnitt (Karin Hammer).

In diese ungemein spannend aufbereiteten Gerichtssaal-Szenen ist interpoliert, was Christian Frosch in den Akten nicht gefunden hat. Um die Herbeischaffung geeigneter Zeugen waren ja beide Seiten bemüht. Die Politik hatte nicht das leiseste Interesse an einer Art Eichmann-Prozess in Österreich. Warum hat sich der Staatsanwalt in seinem Plädoyer letztlich so zurückgenommen, dass der Verteidiger freies Feld hatte und alle Register des Populismus ausspielen konnte? Alexander E. Fennon (Verteidiger Böck) und Roland Jaeger (Staatsanwalt Schuhmann) interessierten den Filmemacher nicht weniger als Täter und Opfer. Die Psychogramme sind deutlich gezeichnet, und das macht ein Gutteil der intensiven Wirkung dieses Films aus.

Ein Journalist der Arbeiterzeitung und eine Kollegin von der New York Times haben damals als einzige relevant berichtet vom Prozess.Christian Frosch lässt die beiden das Unfassbare beobachten, dezent kommentieren. Das Wort „Lügenpresse“ fällt einmal, aber das hätte man sich sparen können: Der Film springt sein Publikum auch so an mit unausgesprochenen Bezügen zur Jetztzeit. Wie liefe ein solcher Prozess heute, da eine Regierung gleich nach ihrem Einsatz für Nikotin und gegen Tempolimits auf Autobahnen die Besetzung des Verfassungsgerichtshofs und des ORF-Rates mit Burschenschaftern betreibt?

Salzburg-Premiere am kommenden Samstag (18.3.) um 18.35 Uhr, Das Kino – www.daskino.at
Das Buch „Rosen für den Mörder“ – Die zwei Leben des NS-Täters Franz Murer von dem Historiker Johannes Sachslehner ist bei Styriabooks/Molden Verlag erschienen.
Bilder: filmladen

 

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