Im Nachhinein klingt alles wie ein Abenteuer

IM PORTRÄT / HERBERT GRASSL

21/11/23 „Die Musik war eine Fluchtmöglichkeit in eine Welt, die ich nicht erreichen konnte und dann doch erreicht habe.“ Am 27. November feiert der Komponist Herbert Grassl seinen 75. Geburtstag. Gefeiert wird mit einer Konzertserie in Meran, Wien und Salzburg und einer Uraufführung.

Von Heidemarie Klabacher

... dem Nächsten Unrecht zuzufügen durch Trug, Gewalttat oder Hinterlist… Das ist keine Charaktierisierung irgendeines Politikers der Gegenwart, sondern „ein „winziges Detail“ aus Dantes Divina Commedia. Die Höllenstrafen für Lügner, Betrüger, Brandschätzer und Mörder betrachtet Herbert Grassl in seinem jüngsten Werk. Inferno op. 171.„Nachrichten über Lug und Trug und Hinterlist. Nachrichten über Gewalt und verbrecherischen Mord. Nachrichten über Kriege, in denen Menschenleben als Kollateralschäden akzeptiert werden – diese Nachrichten erreichen uns täglich und rauben uns den Schlaf“, sagt Herbert Grassl. „Wenn Bomben in Europa fallen, hat auch uns die Hölle wieder erreicht.“

Verglichen mit vielen bizarren Szenarien bei Dante wirken die sechsVerse aus dem elften Gesang beinahe „real“. Darum wurden sie auch ausgewählt: „Weil es da um Dinge geht, die heute auf der Welt eine große Rolle spielen“, sagt Herbert Grassl im Gespräch mit DrehPunktKultur.„Da kommt das Volk der Lügen, heißt es bei Dante. Da könnte man an das Internet denken. Oder: An Gott, an sich, am Nächsten kann man sehen Gewalt verüben: Das sind genau die Dinge, die auf der Welt heute passieren.“

Wenn ein neues Werk zum Thema Hölle – Inferno geschrieben werden soll, „stößt man unweigerlich auf die Commedia, wie Dante selber sein Werk nannte“. Es ist Herbert Grassl wichtig, darauf zu verweisen, dass das später ergänzte Beiwort „divina“ keineswegs „irgendwie religiös“, sondern einfach im Sinne von „großartig“ gemeint sei.

Tatsächlich sei der Dante-Teil seines neuen Stückes der kürzere, erklärt der Komponist: Den größeren Teil des halbstündigen Werkes Inferno nehmen Vertonungen zweier Gedichte von Charles Baudlaire ein. „Er war schon als Kind traumatisiert und sein Leben war zum Teil die sprichwörtliche Hölle auf Erden.“ Im ersten Gedicht verändere sich die „Romantik eines Sonnenunterganges in tiefe Finsternis bei Kälte und Grauen im Sumpf, mit Moderhauch, Schnecken und Kröten“. Im zweiten Gedicht werde dem Kapitän Tod das Reiseziel erläutert: „Ob Himmel oder Hölle, egal – zeig uns Neues am Grund.“

„Musikalisch ausartikuliert“ werden die Texte durch drei Frauenstimmen und eine „sehr kleine, aber sehr farbige Besetzung“. Es gebe musikalische Effekte, die man kaum wahrnehmen, wohl aber in ihrer Wirkung spüren könne: „Wenn es in die tieferen Kreise der Hölle geht, spielt der Kontabass ganz unten seine tiefsten Töne ohne die übliche Stützung durch ein Cello. Oben spielt die Piccoloflöte ihre höchsten Töne. Das geht soweit auseinander, dass man Angst kriegen kann.“ Wie erklärt sich der unheimliche Effekt? „Beim Kontrabass sollten die tiefsten Töne nicht verwendet werden, ohne dass ein Cello mitspielt. Nur wenn Cello dabei ist wird der Ton unten 'real'.“ Auch mit den vielen Instrumenten des Schlagzeugs könne man „viel ausdeuten“, erklärt der Komponist am Beispiel Glockenklang: „Der edle Klang des Vibraphons geht über in den Lärm von Kuhschellen: Die haben eher einen Höllenbezug, als edle Glocken.“

„Herbert Grassl, geboren 1948 in Laas in Südtirol, studierte nach Anfängen als Trompeter

in der Musikkapelle Laas am Mozarteum Musikerziehung, Chorleitung sowie Komposition bei Cesar Bresgen und später bei Irmfried Radauer und Boguslaw Schaeffer.“ So der Beginn der offiziellen Biografie. „Ich entstamme einer sehr armen Südtiroler Familie“, erzählt der Komponist. Der Vater habe im Marmorwerk gearbeitet, nach seiner Einberufung habe die Mutter „mühsam etwas Kleinbäuerliches aufgebaut“. Tatsächlich spielte Herbert Grassl schon als Zwölfjähriger in der Musikkapelle Trompete: „Ich hatte schon damals einen wahnsinigen Bezug zur Musik.“ Als Lehrling in einer Mechanikerwerkstatt habe er vier Jahre durchlitten. „Die Musik war der Ausweg.“ Er habe „fleißig geübt“. Nach seiner Einberufung zum Militärdienst sei er in Cuneo im Piemont gleich in die Militärmusik gekommen, wie auch nach der Versetzung nach Bozen. „14 Monate Miltärdienst waren ein großes Glück für mich“, betont Herbert Grassl. „Die Musik war eine Fluchtmöglichkeit in eine Welt, die ich nicht erreichen konnte und dann doch erreicht habe.“ Aus dem Miltärdienst sei er im Dezember entlassen worden, die Aufnahmsprüfung ans Mozarteum konnte erst im Herbst darauf gemacht werden. Dazwischen gab es ein Intermezzo als Schweißer.

Alles „Seitherige“ steht wieder in jeder offiziellen Biographie der Programmbücher namhafter Veranstalter. Zweimal erhielt Herbert Grassl das Österreichische Staatsstipendium. Von 1988 bis 1997 leitete er das Österreichische Ensemble für Neue Musik (oenm) bei Konzerte weltweit. Von 1977 bis 1988 war er Mitorganisator des Festivals für Neue Musik Aspekte Salzburg. Mit dem bildenden Künstler Otto Beck entwickelte Grassl 1991 die Klangmobile, mit denen öffentliche Plätze von Salzburg bis Seoul (Weltmusiktage 1997) bespielt wurden. Zusammen mit dem Maler Jörg Hofer realisierte der Komponist etwa das Projekte Berührungen im Göflaner Marmorbruch auf 2250 m Seehöhe. Bis 2017 war Herbert Grassl der künstlerische Leiter der Internationalen Paul Hofhaymer Gesellschaft, deren Präsident er heute ist. 2010 erhielt er den Großen Kunstpreis für Musik des Landes Salzburg.

Zu Grassls Oevre gehören die Opern Pygmalion und Sheherazade, aufgeführt in Kairo und Alexandria mit dem oenm sowie die 2013 beim Mattseer Diabelli Sommer uraufgeführte Kirchenoper Harisliz – die Fahnenflucht Tassilos; weiters neun Orchesterwerke sowie Werken für Chor und Orchester oder Instrumentalensemble und Vokalsolisten. Dazu gehören ewa Überschreitungen, Trauerkantate 1914 – 2014, Von Liebe singen oder Tassilo Herzog – Krieger – Mönch. Grassl blickt auch auf ein umfangreiches kammermusikalisches Werk, darunter vier Streichquartette, das Quintett Incontri für Streichquartett und Akkordeon, Bläserensembles, sowie Stücke für Sologesang und Soloinstrumente.

L’Enfer – Sonntag (26.11.) um 18 Uhr im Bösendorfer Saal der Universtität Mozarteum –
Uraufführungen von Reinhard Fuchs, Herbert Grassl und Alexander Kaiser mit dem Vokalensemble der Hofhaymer Gesellschaft und dem ensemble chromoson – www.hofhaymer-society.at
Herbert Grassls Stück „Inferno“ ist ein Auftragswerk der Internationalen Paul Hofhaymer Gesellschaft Salzburg IPHG. Die Aufführungsreihe Meran Donnerstag(23.11.), Wien Samstag (25.11.) und Salzburg Sonntag (26.11.) ist eine Kooperation der IPHG, der Österreichischen Gesellschaft für zeitgenössische Musik ÖGZM, dem Südtiroler ensemble chromoson und dem Südtiroler Künstlerbund.
Bilder: IPHG (1) / dpk-krie (2)