„Der Begriff Opfer ist aufs erste gesehen negativ besetzt“, sagt Prälat Johannes Neuhardt. Vom „blutigen“ Alten Testament ist gelegentlich die Rede. Tatsächlich wird selbst dort das „Opfer“ nicht besonders geschätzt: „Liebe will ich, nicht Schlachtopfer, Gotteserkenntnis, statt Brandopfer“, sagt der Prophet Hosea im Alten Testament, den später der Evangelist Matthäus im Neuen Testament zitieren wird: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.“ Im Psalm 40 wird festgestellt: „Opfer und Speiseopfer gefallen dir nicht!“
Was soll also im Jahr 2013 des Herrn, der anscheinend kein gar kein Opfer will, ein Festival zu diesem Thema? Was bedeutete und bedeutet der Begriff tatsächlich? In alttestamentlicher Zeit? In der Antike? Im Christentum? In der säkularisierten Gegenwart? Das wird Prälat Johannes Neuhardt am Freitag (17.5.) auf Einladung des Vereins der Freunde der Salzburger Festspiele zu (er-)klären versuchen.
Das deutsche Wort Opfer stamme vom lateinischen Wort „operari“ und bedeute „tun, ausführen“, erklärt Neuhardt. „Es bezeichnet also eine Tat, einen Ritus.“
In allen Kulturen war das Opfer ursprünglich etwas Archaisches. Blut um Blut. „Das Blut des Opfertieres fließt auf Haupt und Hände des Mörders, danach abgewaschen, ist er rein.“ Etwa um 400 vor Christus habe ein Umdenken begonnen: „Nicht durch Opfer- und Blutströme, sondern durch ein reines Herz und durch den ehrenwerten Vorsatz will Gott verehrt werden“, schreibt Seneca um etwa 65 nach Christus.
Der Gedanke an die Liebe eines Gottes sei da aber noch weit entfernt, betont Johannes Neuhardt. Tatsächlich setzten sich die Blutkulte in der Antike weiter fort. „Kaiser Augustus stiftet in Rom die Ara pacis auf der jedes Jahr Stiere geopfert werden mussten.“ Das Blut sühnt durch das Leben, fasst der katholische Theologe Neuhardt die antike kultische Sühnetheologie zusammen: „Der Opfernde legt dabei dem Tier die Hand auf, wodurch er sich mit diesem identifiziert. Deshalb gehört das Blut grundsätzlich Gott, weswegen dem Menschen der Genuss untersagt ist. Ein solches Verbot von Blutgenuss gab es außer im Judentum in keiner anderen Religion des Orients in der Antike.“
Aber auch in Israel habe man begonnen, an die Stelle von Schlacht- und Speiseopfern das Opfer der Hilfsbereitschaft gegenüber Witwen, Waisen, Armen und Unterdrückten zu setzen: „Das Sozialopfer ist das Verhalten, das in der gesellschaftlich-politischen Situation dominieren soll.“ So kommt es zum Wort des Propheten Hosea: „Liebe will ich, nicht Schlachtopfer, Gotteserkenntnis, statt Brandopfer“ (Hos 6,6).
Dieser Gesinnungswandel hatte, so Johannes Neuhardt, unmittelbar positive Folgen für das Zusammenleben: „Auch Menschen untereinander setzen einen Neubeginn in ihren Beziehungen wenn sie Schuld bekennen und darüber hinaus bereit sind, handfeste Konsequenzen zu ziehen. Wer verzeihen will, kann dies nur tun, wenn er den ersten Schritt macht und in dem er darauf vertraut, dass sein Gegenüber es mit der Versöhnung auch ernst meint. Nur deshalb wird er das Angebot des anderen, dessen symbolische Gabe, annehmen.“
Der Begriff Versöhnung habe also nicht nur eine ethische sondern auch eine religiöse Bedeutung: „Die der ‚Versöhnung’ zu Grunde liegende ‚Sühne’ ist mit der Vorstellung des Opfers eng verbündet. Dass mir vergeben wird, setzt voraus, dass ich eine Gabe bringe, ein Opfer, ein materielles oder symbolisches.“ Nicht umsonst stehe über dem Eingang der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem „Versöhnung geschieht durch Erinnerung“.
Längst gibt es keine Menschenopfer mehr, keine Orakelbeschwörungen, keine antiken Mysterienkulte, auch keine Verehrung heiliger Bäume: „Der Apostel der Deutschen, Bonifatius hat die Donareiche der Legende nach gefällt und niemand wird sie jemals wieder pflanzen.“ Doch wie „versöhnt“ man Gott?
Ein Versuch, das Heil gegen das Unheil zu retten war die biblisch angeregte Theorie vom „Sühnetod“ Jesu, wodurch die Menschheit aus der Todverfallenheit der Sünde endgültig befreit worden sei, erklärt Johannes Neuhardt. Er stellt die sich aufdrängende Frage gleich selber: „Kann Gott so grausam sein, durch unschuldiges Leid unschuldiges Leiden zu überwinden?“
Tatsächlich, so Neuhardt, wolle uns das Kreuz den Gedanken der zeitlich-geschichtlichen Solidarität bis in den Tod vermitteln: „Diese Dimension bezeichnen wir als Liebe, die uns ermöglicht neu von Gott zu sprechen.“ Dieser Gott der Liebe müsse nicht wie in den antiken Religionen zuerst durch Tieropfer gnädig gestimmt werden, um Gnade zu schenken!
Dennoch habe das Neue Testament habe den Opfergedanken des jüdischen Gottesdienstes keineswegs ausdrücklich verworfen, betont Neuhardt. Hat nicht zuletzt Jesus selber seinen eigenen Tod als Lösegeld für alle dargestellt.
Noch heute gebe es Menschen, die - wenn auch im säkularem Zusammenhang - durch ihr Opfer das Leben anderer zu retten versuchen, betont Neuhardt und nennt die Arbeiter an der japanischen Atomkraftwerksruine in Fukushima, die ihr Leben riskiert und sich dem sicheren Tod ausgesetzt „und so Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen, vor der atomaren Katastrophe gerettet haben“.