In den letzten Jahren wurden die „Postgründe“ nördlich des Bahnhofsvorplatzes bebaut. Nach Plänen von kofler architects entstanden u.a. das Shoppingcenter/Hotel und die Gebietskrankenkassen-Zentrale als das höchste Gebäude. Alte hohe Pappeln sollten das Quartier aufwerten und „die Durchlässigkeit über hochwertige öffentliche Räume“ sichern. Die Pappeln sind längst gefällt, unwirtliche (Verkehrs-)Flächen bilden den Abstand zwischen solitär-hermetischen Bauten. Beim Symposium „Verstehen Sie Bahnhof?“ 2002 wurde ein für ein urbanes Quartier notwendiger Wohnungsanteil im Nutzungsmix der Häuser gefordert. Wohnungen wurden schließlich doch gebaut, allerdings konzentriert direkt an den Gleisen im von bunt gestapelten Nebenraumcontainern geprägten Gebäude. Bedauerlicherweise entstand kein identitätsstiftendes Quartier mit angenehmen öffentlichen Räumen.
Das Bodner-Hochhaus an der Ecke Rainerstraße/Saint-Julien-Straße/ Nelbök-Viadukt auf den ehemaligen „ÖBB-Gründen“ steht nun kurz vor der Einreichung. Bei der dahinterstehenden Hochhausstudie von 2001 rückten kada-wittfeldarchitektur mehrere Hochhäuser möglichst weit an die Ränder der ÖBB-Grundstücke beiderseits des Bahnhofs, die sich so am wenigsten gegenseitig störten. Mit dem 1956 gebauten, 59 Meter hohen Hotel Europa gemeinsam sollten drei neue Hochhäuser den Bahnhof in einem unregelmäßigen Viereck einfassen. Diese banale Leitidee soll die Hochhäuser – auch das fast baureife an der Rainerstraße – städtebaulich legitimieren.
Für das schmale Grundstück am Bahndamm sah die Stadt ursprünglich eine dem Standort am Verkehrsknotenpunkt angemessen Dichte vor. Diese Geschoßflächenzahl (GFZ) von 2,0 war deutlich höher als – zum Vergleich – die Wohnbauten im Stadtwerkeareal oder das noch nicht reduzierte Wettbewerbsprojekt Franz-Rehrl-Platz. 2002 forderte Grundeigentümer ÖBB-Immobilien eine GFZ von 5,0 (15.000 Quadratmeter auf 3000 qm Grund), damit die Geschäfts- und Bürozeile wirtschaftlich realisierbar wäre. Die Stadt akzeptierte die Behauptung der ÖBB, verschenkte zusätzlich das eineinhalbfache der Dichte und ermöglichte so die extrem hohe GFZ 5,0. Den fünfgeschoßigen Riegel sollte ein zwölfgeschoßiger „Hochpunkt“ von 43 Metern überragen. Im September 2012 machte die Empfehlung des Gestaltungsbeirats – Eleganz war das Hauptargument – daraus 59 Meter. Im Laufe der Jahre war die Planung zum Salzburger Architekturbüro HALLE 1 gewechselt, die Grundsatzproblematik blieb gleich. Auch HALLE 1 platzierte das Gebäude beengt am Nelbök-Viadukt.
Als „neues Entrée zum sich entwickelnden Bahnhofsviertel“ wird der 59-Meter hohe Hotelturm angepriesen. Er würde „das alte Hotel Europa städtebaulich besser einbinden“, argumentiert der Vorsitzende des Gestaltungsbeirats Peter Riepl. Das Gegenteil ist der Fall: Der Neubau konterkariert die solitäre Position des Hotel Europa und seine Funktion als Entrée.
Der neue Hotelturm wird im Stadtgefüge gravierend und ohne städtebauliche Logik in Erscheinung treten. Die Gegenargumente sind gewichtig. Eines liegt in Salzburgs besonderer Topographie mit Beckenlage und Stadtbergen. Ein vielfältiges Sicht- und Beziehungsnetz prägt diese „Stadtlandschaft“, die meisten Plätze besitzen zwei besondere Qualitäten: Neben den Platzwänden als Begrenzungen des Blicks eröffnen sich – als zweite Perspektive – Sichtbeziehungen zu Stadtbergen und Gebirge. Die wichtige Sichtachse Bahnhofsvorplatz-Rainerstraße wurde von den Architekten und in den Blickachsen-Studien nicht beachtet, hier schiebt sich das Bodner-Hochhaus aber massig vor die Silhouette des Untersbergs.
Wo bleibt die „inhaltliche Begründung“ für ein Hochhaus? Beim Workshop „Bahnhof & Umgebung“ 2002 bestand noch Konsens zwischen Stadt und Investoren, dass der wirtschaftliche Wettbewerbsvorteil Exklusivität bei Adresse und Ausblick als Hochhaus-Argument nicht reichen könne, sondern nur eine besondere inhaltliche Bedeutung. Damals war noch die Übersiedlung der „Stadtbibliothek in die Rainerstraße angedacht. Heute steht kommerzielle Ausreizung mit hauptsächlich Hotelzimmern im Turm im Mittelpunkt.
Im März 2012 präsentierte Planungsstadtrat Johann Padutsch neue „Visionen zu einem urbanen Stadtviertel“. Acht zwischen 30 und 42 Meter hohe Häuser sollen nördlich von Zyla-Türmen und Gebietskrankenkasse gruppiert werden. Diese Cluster-Konzeption Richtung Itzling ist durchaus diskussionswürdig, gemeinsam mit den Resten bzw. Realisierungen der kada-wittfeldarchitektur- Hochhaus-Idee von 2001 entsteht allerdings eine desperat-heterogene Kombination. Hochhaus-Versionen als aneinandergereihte Bauparzellen-Verwertungen sind das Gegenteil einer zukunftsträchtigen Vision.
Besonders das vernachlässigte Bahnhofsquartier und seine Bewohner hätten zeitgemäße Architektur, die attraktive öffentliche Räume bildet, verdient. ICOMOS Austria und andere „Salzburg-Retter“ haben sich in das engagierte Projekt Franz-Rehrl-Platz verbissen, im Windschatten dieser übertriebenen Polemik kann sich am Hauptbahnhof Investorenwillkür und Planungskulturlosigkeit widerstandslos in die Skyline einschreiben.