Wohlkuratierte Krisennarrative

STICH-WORT

08/01/19 Die Lage – national und international – dürfte, auch ohne Schneechaos, schlimmer sein, als wir ohnehin alle miteinander fürchten. Um ihr, also der Weltlage, auf Augenhöhe zu begegnen, setzen ARGE-Chef und -Team in Salzburg auf Fremdwörter. Gut so, weil gegen das Fremde ist man ohnehin in Wien.

Von Heidemarie Klabacher

Bevor also auch in Salzburg die Ausgangssperre für Fremdwörter kommt, sei von der ARGE und ihren Plänen für das Neue Jahr berichtet. Heute Dienstag (8.1.) wurde das Jahresprogramm vorgestellt.

Im Grunde wird man auch 2019 bleiben, was man ist: „Ein ganzjährig agierendes Mehrspartenhaus mit starker regionaler Anbindung und einem aktiven gesellschaftspolitischen Selbstverständnis. Auch 2019 wird es wieder ein Programm aus rund dreihundert Veranstaltungen geben.“ Gut so. Aber das kann besser werden.

„Ausgangspunkt zur Weiterentwicklung dieses Programms ist der Begriff der Komplexität.“ Auch gut. Unsere Welt ist echt komplex. Für Ver-Simplifizierung und die Einteilung der Menschen in gut und böse sorgen die Populisten. Umso wichtiger, dass es als Gegenspieler die ARGEkultur gibt: „Die thematische und formale Vielfalt einer Kulturinstitution wie der ARGEkultur ist bestens geeignet, diese Komplexität herzustellen und lustvoll zugänglich zu machen – gerade in einer ‚Gesellschaft der Singularitäten’ (Andreas Reckwitz), in Zeiten von gesellschaftlicher Abschottung, politischer Vereinfachung und ‚Fake News‘ erscheint uns diese Arbeit als oberstes Gebot.“

Dass es mit den Geboten und ihrer Einhaltung nicht immer funktioniert, weiß man schon aus der Bibel. Damals setzte es Strafen. Die ARGE dagegen setzt auf Fremdwörter: „Kuration, Diskursivierung, Internationalität, Dezentralität, Digitalität...“ Wenn jetzt nicht endlich alles gut wird, wissen wir auch nicht weiter.

Bye bye Demokratie! Bye bye Rechtsstaat! Bye bye Sozialstaat! Bye bye europäische Wertegemeinschaft! Bye bye Liberalismus! Bye bye Humanismus! Bye bye Meinungsfreiheit! Bye bye Pressefreiheit! Bye bye Freihandel! Bye bye Wachstum! Bye bye Privatsphäre! Bye bye Wohlstand! Bye bye Sicherheit! Bye bye Ökosystem! Bye bye Klimaschutz! Bye bye Westen! Bye Bye Europa! Bye bye stabile Weltordnung! Bye bye Empathie! Bye bye Vernunft! Bye bye Anstand und Moral! Willkommen kuratorischer Zugriff.

„Der kuratorische Zugriff auf das Veranstaltungsprogramm der ARGEkultur wird modellhaft vor allem im jährlichen Open Mind Festival sichtbar“. Wir zitieren: „Das Open Mind Festival 2019 wagt eine gegenwartsbezogene Phänomenologie des Abschieds – wer nimmt wie Abschied von was –, untersucht dessen gesellschaftliche Konsequenzen und befragt die Krisennarrative unserer Zeit: Leben wir wirklich in einer Art neuem Fin de Siècle? Sind die letzten Tage der Menschheit schlussendlich nun doch gekommen? Wohnt manchen gesellschaftlichen Wandlungsprozessen wirklich jene alternativlose Fatalität inne, die tatenlos macht und manchen denken lässt: Bye Bye Everything?“

Nicht evrything: Es wird bei opne mind den üblichen Mix geben, Performances, Lesungen, Konzerte, Installationen und Diskussionsveranstaltungen, auch ein zweitägiges künstlerisch-wissenschaftliches Symposium. Man kooperiert mit Maribor und Ljubljana. Den kuratorischen Zugriff auf all das haben Theresa Seraphin und Sebastian Linz.

Das Jahr über: Man produziert Theater geinsam etwa mit dem Schauspielhaus Wien, dem Thomas Bernhard-Institut der Universität Mozarteum, den Münchner Kammerspielen oder der Sommerszene. Da holt man gute Namen ins Haus. Dazu wie üblich Co-Veranstaltungen mit Salzburger Künstlern und Institutionen, etwa mit Bernadette Heidegger, dem Theater ECCE, der English Drama Group, mit Michael Kolnberger und dem theater.direkt. Auch für die Tanz- und Theaterfestivals sorgen die anderen, da kann der kuratorische Zugriff locker lassen und wird trotzdem die ARGEkukltur in Spiel bringen (Was genau ist noch mal Trittbrettfahren?): Try Outs, Salzburger Performance Tage, Sommerszene, tanz_house Herbst gab es jedenfalls schon vor dem aktuellen kuratorischen Zugriff.

Mit argeBOT hat man ab Herbst 2019 wieder Eigenes anzubieten: „Der argeBOT ist ein subjekthaftes Wesen und begegnet unserem Publikum auf der Website der ARGEkultur. Er kommuniziert online mit jede*r User*in, der*die das Gespräch mit ihm sucht. Er eignet sich für einen kleinen Chat ebenso wie für ein langes und tiefgründiges Gespräch über gesellschaftspolitisch relevante Themen.“

Konzerte und Kabarett gibt es auch wieder. Der Rote Salon entzieht sich ebenso dem kuratorischen Zugriff wie MotzART. Ein kleiner Wunsch vielleicht: Irgendwer möge über „kuratorischen Zugriff“ diskursieren.

www.argekultur.at
Bild: ARGEkultur