Nägel in zarten Frauenfingern

ST. VIRGIL / VALIE EXPORT

08/03/24 „Es war damals nicht leicht, Feministin zu sein“, sagt Valie Export über ihre künstlerischen Anfänge in den 1960er Jahren. „Die Gesellschaft war nicht bereit, Kunst von Frauen zu rezipieren.“ In St. Virgil ist derzeit eine kleine Ausstellung Valie Export. Die Bildhauerin als Zeichnerin zu sehen.

Von Reinhard Kriechbaum

Film, Video, Installationen, feministische Aktionen, konzeptuelle Fotografie – und eben auch Graphik. Bei einem so vielfältigen Schaffen ist es kein Wunder, dass der Ausstellungstitel Die Bildhauerin als Zeichnerin gerade in einer kleinen, feinen Schau nicht eingelöst werden kann. Es sind natürlich nicht nur Zeichnungen zu sehen.

Im übrigen wird man die 1940 in Linz geborene Valie Export auch als „Bildhauerin“ nur schwerlich dingfest machen können. Es ist, so wie das Zeichnen, in dem komplexen Gesamtwerk eben nur jeweils ein Teilaspekt. Die Medien greifen ineinander. Die Hand – das Motiv zieht sich durch die ausgestellten Arbeiten – sei ihr von Anfang an wichtig gewesen, erzählte die 83jährige Doyenne österreichischer Kunst bei einem Presserundgang am Donnerstag (7.8.) in St. Virgil.

„Die Hand ist ein ganz wichtiges Werkzeug des Menschen.“ Eine eigentlich lapidare Aussage, die sie mit lebhafter Gestik begleitet, und das wirkt wie eine Live-Performance. Wir stehen nämlich gerade vor einem Bildschirm stehen, auf dem das Video Sehtext/Fingergedicht (1968/73) läuft.

Schaut aus wie Gebärdensprache – und ist es auch. Valie Export hat da den Text „Ich sage die Zeige mit den Zeichen der Sage (frei nach Martin Heidegger)“ eben in Gebärdensprache visualisiert.

Gleich daneben an der Wand Fotoarbeiten mit Händen, davor eine Vitrine mit einem Handschuh, durch dessen zarte Fingerkuppen dicke Stahlnägel stechen. Ein Symbol von Verwundung gefährdeter Frauenhände? Man soll nicht voreilig interpretieren. „Es ist der Entwurf zu einer nie realisierten großen Skulptur“, erklärt Valie Export und formt mit ihrer Hand eine leichte Rundung. „Es hätte eine schützende Geste sein sollen.“ Die Nägel stünden für die Säulen, die die Großskulptur gestützt hätten.

1983 ist der Avantgardefilm Syntagma entstanden. Hier treffen sämtliche Medien wie Film, Fotografie, Zeichnung, Montage, experimentelle Musik (erzeugt auf Spielzeug), Spezialeffekte und Performance aufeinander und zeugen von Valie Exports jahrzehntelanger Beschäftigung mit multimedialen Techniken.

Vor Graphiken mit wellenartigen Motiven gerät Valie Export ins Sinnieren über das Festhalten des Augenblicks. Und da ist es nicht weit zum Nachdenken über die Ewigkeit in der Kunst. Auch dazu hat sie in den „wilden“ 1968er Jahren etwas beigetragen, als sie sich einen Strumpfbandgürtel auf den Schenkel tätowieren ließ. Der weibliche Körper, bis heute Tabuisierungen und Verboten ausgesetzt, war ja über die Jahrzehnte präsent im Schaffen der Künstlerin. Zum tätowierten Strumpfbandgürtel (zu sehen als Foto) sagt sie: „Ein Kunstwerk, das nur so lange lebt wie die Künstlerin.“ Mit solchen Körperaktionen, vor allem feministischen, hat man damals mächtig Aufsehen erregt und ist angeeckt. Aber: „Anpassen wird zwar geschätzt, führt aber nicht weiter“. Valie Export erzählt vom „Druck der Väter und vom Druck der Mütter, die mit Nationalsozialisten verheiratet waren“.

Der oberösterreichische Theologe und Kunsthistoriker Hubert Nitsch, seit langem als Kurator auch für den Kunstraum St. Virgil tätig, hat mit Valie Export in den letzten Jahren für ein unerwartetes Projekt zusammengearbeitet. Valie Export war eingeladen, den Prospekt der neuen Orgel in der Linzer Pöstlingbergkirche zu entwerfen.

Sie hat das mit Schrifttafeln gelöst. Auf der zentralen Tafel steht „Wer begreift hat Flügel“. Bei dieser Gelegenheit hat Valie Export beim Abtragen der alten Orgel alte Pfeifen mitnehmen dürfen. Das hat sie zu Skulpturen angeregt, und so stehen jetzt jeweils mehrere Metallpfeifen zu Stelen gebündelt da, verkehrt, mit dem Fußloch nach oben. Dürfen einem dazu Stalagmiten einfallen, wie ein Begleittext zur Ausstellung anregt? Oder in Zeiten wie diesen eine Art von zusammengerollten Stalinorgeln, abschussbereit, um Unheil anzurichten? Das brauchen wir hoffentlich bei dem friedlichen Ausgangsmaterial Orgelpfeife nicht befürchten.

Bis 31. Mai im Kunstraum St. Virgil (Foyer) – www.virgil.at
Bilder: dpk-krie