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Leben? Ich bin hungrig danach.

KAMMERSPIELE / AQUARIUM

20/05/19 Die Aussagen alter Mitmenschen als Schenkelklopfer für Bildungsbürger? Wie stellen wir uns zur Würde der alten Menschen, die ihre Stimme dem Projekt zur Verfügung stellten? Werden die alle über sich lachen wollen und ihre Paraphrasierung als gelungenen Scherz auffassen? Wer sich diese Fragen nicht stellt, erlebt wohl einen köstlichen, kurzen und unterhaltsamen Abend im Aquarium.

Von Erhard Petzel

Aardman Animation und Nick Park haben es mit ihren animierten Plastelin-Tieren in Creature Comforts anno 1989 vorgemacht: Aussagen von Einwanderern und Bewohnern eines Seniorenheimes zu ihrer Wohnsituation werden Zootieren im Käfig in den Mund gelegt. Im Aquarium in den Kammerspielen passiert 2019, knackige dreißig Jahre später, Vergleichbares: Zitate von betagten Salzburgerinnen und Salzburgern im Seniorenheim werden von einem jungen Ballett-Ensemble in der Nasszelle pantomimisch persifliert.

Die Metapher ist eingängig. Jeder hat schon einmal die Erfahrung gemacht, fasziniert die Fische in einem Aquarium zu betrachten, das vielleicht ein Arzt in seinem Wartezimmer stehen hat zur Beruhigung seiner Patienten, oder in einem Hallenbad durch die Beckenfenster den Schwimmern und Planschern zuzusehen in einem Zustand zwischen Kontemplation und Voyeurismus. Diese Qualitäten vereinen Titel und Bühne: Aquarium von Ronnie Brodetzky erlebte am Sonntag (19.5.) in den Kammerspielen seine „Salzburger Uraufführung“. Das Geschehen auf der Bühne – also unter Wasser und hinter Glas – zieht  an einem vorüber. Es hat seine eigene Dynamik in sich und müsste sich tatsächich nicht um den Betrachter scheren, dessen Beziehung zu den Wahrnehmungen seltsam distanziert bleiben. Diese Distanz könnte Brodetzky betonen und ausweiten, da eingespielte Texte alter Leute von jungen Menschen gestisch und mimisch exekutiert werden. - Viele Konjunktive

Die israelische Regisseurin, die das Theater-Experiment bereits mit „The Haifa Group“ umgesetzt hat, warf sich in die für sie unbekannte deutsch-salzburgische Sprachumgebung: Im Zentrum stehen Sprachaufnahmen betagter Salzburger, etliche davon in Senioreneinrichtungen wohnhaft. Daraus kompiliert ist der Text des Stücks, der von den Ausführenden playback-pantomimisch „gesprochen“ wird. Zu Klängen von Strauß, Offenbach, Verdi oder Satie bietet das Ensemble des Landestheaters in grellbunten Badeanzügen und Badehauben anmutiges Ballett (Choreografie Tvon Tal Cohn) in grüner Hallenbad-Umwandung. Bei Beleuchtungswechsel lässt sich ein Dusch- oder Saunaraum im Hintergrund sehen (Bühne und Kostüme Ruth Miller).

Der Wechsel von Ballett zu Spracheinspielung ist fließend (Ton Dan Hirsch), wodurch ein Verfremdungseffekt zu den manchmal schwer verständlichen Text-Botschaften eintritt. Anders aber als bei den Ballettexperimenten um Cage, wo Tanz und Musik beziehungslos nebeneinander stehen, ist hier Bewegung und Text aufeinander bezogen, wodurch im Verein mit den Tanzeinlagen Revue-Charakter erzeugt wird.

Da die Protagonisten die Worte pantomimisch mitsprechen, überhöht sich der eingespielte Inhalt durch die Szene zur Parodie. In der Revue ist der Kontakt mit dem Publikum ein wesentliches Element, die Szene ist überzeichnet und die Pantomimen agieren komödiantisch exaltiert. Die Spannung zwischen der Sprache der Alten und dem Tun der Jungen kommt daher als Witz daher. Und das über Themen wie Sex, Nazizeit, Witze, Kunst, Tanzen, Alter oder Tod.

Es ist allerdings nicht der befreiende Witz zur Emanzipation des Schwachen, sondern die Überhebung des von außen Betrachtenden, der sich über Schwächen lustig macht. Womit die Schwimmbad-Metapher wieder eingebracht wäre: der Pubertierende, der über die leichtbekleideten Älteren lästert.

Die Aussagen alter Mitmenschen als Schenkelklopfer für Bildungsbürger? Würde man ebenso heftig losprusten, wenn man im Theater die Stimme eines geliebten Verwandten vernähme? Wie stellen wir uns zur Würde der alten Menschen, die ihre Stimme dem Projekt zur Verfügung stellten? Werden die alle über sich lachen wollen und ihre Paraphrasierung als gelungenen Scherz auffassen?

Wer sich diese Fragen nicht stellt, erlebt wohl einen köstlichen, kurzen und unterhaltsamen Abend.

Wie sagt der Puma im Animationsfilm Creature Comforts am Ende?Er möchte nur noch in ein wärmeres Land, egal, in welches man ihn bringen würde. Die Tragödie jeder Kreatur ist hier zusammengefasst und trotz ihrer Schwere gut zu tragen durch federleichten Witz.

Bei der Aquariums-Premiere in den Kammerspielen werden Geschick, Gestik und Grazie des Ensembles mit frenetischem Beifall bedacht, ebenso die junge Regisseurin und ihr Team. Wer nach Katharsis im Theater sucht, kann vom Schluss die letzten fünf Worte aus dem Zitat einer Greisin zur Frage nach Leben mitnehmen: „... ich bin hungrig danach...“

Aquarium – Aufführungen in den Kammerspielen bis 16. Juni - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT/Tobias Witzgall

 

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