Neuer Zirkus als großes Theater

WINTERFEST / MACHINE DE CIRQUE

19/12/18 Die Bühne beherrscht eine Art Maschinerie aus Gestängen, rollenden Plattformen und Vorhängen, eben die Machine de Cirque, eine kunstvoll ineinander gefügte Müllhalde nach der Apokalypse. Machine de Cirque, die letzte Premiere beim Winterfest 2018, ist mit Artistik und Witz ein Theaterabend voll exquisiter Körperkunst, Poesie und mitreißender Musik.

Von Gottfried Franz Kasparek

Nach der Apokalypse geht das Leben weiter. Und wie. Den Pulsschlag dazu erzeugt der wunderbare Theatermusiker Frédéric Lebrasseur, ein Meister des Schlagzeugs und der E- Gitarre, des fetzigen Soundtracks und der Improvisation. Trotz elektronischer Unterstützung steht der musizierende Mensch im Mittelpunkt, der als auf eine Plattform kletternder und dann dort trommelnder Vogel auch eine akrobatische Einlage hat und stets punktgenau die Geschehnisse auf der Bühne trifft, in ständigem Kontakt mit den Artisten, ja oft als deren Impulsgeber.

Standing Ovations für das frankokanadische Männersextett nach der Premiere am Dienstag (18.12.) :Yohann Trépanier, Raphaël Dubé, Ugo Dario, Maxim Laurin und Olivier Forest sind die phantastischen Akrobaten, welche in der von Vincent Dubé betreuten Produktion ihre ganze Kunst zeigen. Die glorreichen Fünf sind aber nicht nur großartige Artisten, die mit unglaublicher Körperbeherrschung, meterhohen Salti und quirliger Präsenz verblüffen. Sie sind, jeder für sich und gemeinsam, ebenso famose Tänzer und Schauspieler. Allein die Mimik ist in jeder der rund neunzig pausenlosen Minuten stimmig, erheiternd und mitunter herzergreifend.

Charlie Chaplin ist – auch in den Kostümen von Sébastien Dionne – sozusagen der Urvater des Konzepts, was den Zauber der phänomenal beherrschten Tapsigkeit und doppelbödigen Clownerie betrifft, der viele Szenen durchwirkt. Wenn ein in immer höheren Varianten auftauchendes Einrad für lachmuskeltreibende Komik samt einkomponiertem „Unfall“ sorgt, wenn alle fünf Herren rasant jonglieren, wenn das Quintett sich seiner Kleider entledigt und eine tolle Nummer mit immer gerade noch das Geschlecht verhüllenden blitzweißen Handtüchern bietet, wenn im Finale die Sprünge und Salti bis an die Decke des Raums reichen, kann man nur gespannt dem turbulenten Geschehen folgen, ist im besten Sinne mit- und hingerissen. Das ist neue Zirkuskunst vom Feinsten!

Doch oft schwebt im Hintergrund zarte Poesie, ja einmal wird sie in einer ruhigeren Phase etwa in der Mitte, zum stillen Höhepunkt. Ein Clown mit abstehenden Haaren und traurigem Gesicht wirft sich in Schale mit Rose im Knopfloch und begibt sich in die erste Publikumsreihe, aus der er eine attraktive junge Dame entführt. Wenn die wirklich spontan agierte, dann ist sie eine echte Naturbegabung und gehört ohnehin auf die Bühne. Oder sie hat schon Erfahrung auf derselben. Wie auch immer, das erotisch dezent anspielungsreiche und lapidar humorvolle, vom Musiker mit Hingabe begleitete Wechselspiel mit dem Entführer und seinen dienstbaren Kollegen hatte lyrische Qualität und poetische Kraft. So kann Zirkus großes Theater sein.

www.winterfest.at
Bilder: Winterfest / Loup-William Théberge